Münzfunde in Bulgarien in einem halben Jahrhundert
1910-1959
Jordan Tabov
mit Kliment Vassilev und Asen Velchev
Sofia · 2006
Dieses ist die vorläufige Fassung eines Artikels, dessen vollständige Fassung später in einer bulgarischen Fachzeitschrift veröffentlicht werden wird
1.- Einführung 6.- Das Problem der byzantinischen Münzen
2.- Beschreibung der Daten 7.- Warum kamen keine Münzen des 8. und 9. Jh. auf uns?
3.- Darstellung der chronologischen Verteilung 8.-Die dritte und vierte Anomalie
4.- Untersuchung der Verlälißchkeit der Daten 9.-Schlußfolgerungen
5.- Anomalien der chronologischen Verteilung Literatur

I. - Einführung  

Alte Münzen, die in einem Land ausgegraben werden, sind eine wichtige Quelle für die Kenntnis von dessen Vergangenheit. Man kann sowohl den Lebensstandard der Bevölkerung als auch die Handelszentren sowie die Handelsbeziehungen zu anderen Ländern daran ablesen, die Religion erkennen und die Titel der Herrscher usw. Der bekannte Fachmann für byzantinische Geschichte A. P. Kazhdan schrieb dazu:

„Münzen, die ein Handelsmittel in alter Zeit waren, sind heute in der Hand des Historikers Beweis für die Stärke des Handels: Die Menge der in einer bestimmten Stadt ausgegrabenen Münzen kann als echter Hinweis für das Vorhandensein von Wirtschaft in dieser Stadt dienen. Die chronologische Genauigkeit, die dem Münzmaterial innewohnt, hebt es vorteilhaft von vielen anderen Arten historischer Quellen ab. Schließlich ist die Menge der Münzen mehr oder weniger gleichmäßig über Zeit und Raum verteilt.“ (Kazhdan 1954, S. 166)

Wir möchten obigem hinzufügen, daß Münzen ein verläßliches „Datierungselement“ für andere archäologische Artefakte sind, die mit diesen zusammen gefunden werden. Darum sind Münzen nicht nur Gegenstand der Sammelleidenschaft, sondern wichtig für Archäologen und Historiker.

Kann man aus der Menge der gefundenen Münzen, die ein bestimmter Herrscher schlagen ließ, sichere Erkenntnis über den Münzumlauf während seiner Herrschaft und damit über die Stärke seiner Handelsbeziehungen in seinem Land sowie mit anderen Ländern gewinnen? In oben zitiertem Artikel gibt Kazhdan eine bejahende Antwort auf diese Frage mit einigen Einschränkungen von geringer Bedeutung. Man muß nämlich, um die nötige Information zu gewinnen, die Umstände der Münzfunde in klarer Weise handhaben. Das tun wir hier, indem wir die moderne Computertechnologie von A. T. Fomenko anwenden, wie er sie als „volume function“ 1981a und 1981b eingeführt hat (näheres in Fomenko und Rachev 1990, S. 187–206).

Wir sollten hier schon betonen, daß es sich um Hunderttausende von Münzen handelt, und es ist offensichtlich, daß frühere Versuche von Wissenschaftlern in dieser Hinsicht Probleme hatten. Um unser Ziel zu erreichen, benützten wir die „chronologische Verteilung der Münzen“ (englisch abgekürzt als CDC) wie in Tabov et al. 2003 beschrieben, welche ähnlich der „volume function“ von Fomeko ist. Die Veröffentlichungen von S. S. Fedorov und A. T. Fomenko (1986, S. 668–675); Kalashnikov, Rachev und Fomenko (1986, S. 33–45) und mehrerer von Tabov und seinen Kollegen (bis 2004) enthalten entsprechende Vorgehensweisen, die die zeitliche Verteilung der Informationen verschiedener Art beschreiben.

II. - Beschreibung der Daten  

Unsere Informationsgrundlage sind die Veröffentlichungen der bulgarischen archäologischen Gesellschaft (PAS) zwischen 1910 und 1920 und der Zeitschrift desselben Institutes (PAI) von 1921 bis 1959. In gewisser Hinsicht wurde PAS durch PAI fortgeführt. Für den genannten Zeitraum waren diese Zeitschriften die einzigen, die regelmäßig über bulgarische archäologische Entdeckungen berichteten. Wir haben daraus Daten von über 280.000 Münzen aus mehr als 1050 Funden verwertet. Daher erhält unsere Arbeit hohen wissenschaftlichen Wert. Es gibt keine wiederholten Beschreibungen von Funden, was z.B. hätte geschehen können, wenn auch Zeitungsberichte verwertet worden wären.

Die Herrscher, die die Münzen prägen ließen, werden gewöhnlich in diesen Berichten genannt. Wir wenden ihre Regierungszeiten zum Datieren der Münzen an. Bei etwa 20% der Funde werden weder Herrscher noch annähernde Daten genannt – z.B. „ es wurden 70 byzantinische Goldmünzen gefunden, ich sah vier davon“. Derartige Angaben sind wegen ihrer Unsicherheit nicht nützlich in dieser Studie und darum ausgelassen worden.

Die Angaben über die Menge der Münzen verschiedener Funde in PAS und PAI erfolgt in Kilogramm oder Töpfen. Wir nehmen an, daß ein Kilogramm etwa 50 Münzen entspricht und daß ein Topf etwa 500 Münzen enthielt und bleiben bei diesen Begrenzungen. Zugegebenermaßen gab es auch weitere Münzfunde während dieser fünzig Jahre (1910-1959), die in keiner der beiden Zeitschriften veröffentlicht wurden. Vielfach wurden Münzen von Schatzsuchern gefunden und dann an private Münzsammler verkauft ohne daß die Behörden oder Wissenschaftler darüber benachrichtigt wurden. Aber die Spanne zwischen identifizierten und veröffentlichten Münzen einerseits und nicht veröffentlichten andererseits ist vernachlässigenswert. Die Menge der identifizierten und veröffentlichten Münzen ist sehr groß (mehr als 280.000 Stück), weshalb unsere Auswahl stellvertretend für alle bulgarischen Münzen des genannten Zeitraums stehen kann.

III. - Darstellung der chronologischen Verteilung  

Die Grundzeiteinheit beträgt zwanzig Jahre, d.h. wir wählen Intervalle von 1200, 1220, 1240 usw. entsprechend ihrer chronologischen Bedeutung. Die Hauptgründe dafür sind

  1. Die Zeitabstände und die Endziffern sind ganze Zahlen und enden auf Null, was günstig ist
  2. Die Zeitlänge kommt einer durchschnittlichen Herrschaftszeit nahe.
  3. Die dadurch nötige Ab- oder Aufrundung hat keinen Einfluß auf die Genauigkeit.

Hinweis: In Tabov et al. 2003 benützten wir Zeitintervalle von zehn Jahren. Die Untersuchung zeigte, daß der Übergang zu zwanzig Jahren die Genauigkeit nur wenig beeinflußt, die Geschwindigkeit der Eingabe im Rechner aber fast verdoppelt.

Hier nun einige Beispiele für die Darstellung der chronologischen Verteilung von Münzen im genannten Zeitraum. Datierung: Die Münzen werden den Herrschern zugeordnet, die sie prägen ließen. Wenn z.B. eine Münze durch Zar Ivan Schischman (1371-1393) geprägt wurde, setzen wir sie in die Zeit 1371-1393.

Abrundung und Übertragung auf Grundzeiteinheiten: im oben genannten Falle "legen" wir die Münze in den Zeitraum 1380-1400. Dieser Münze wird so eine Funktion zugeschrieben, die Individuelle Schritt-Einheits-Funktion genannt wird ( individual unit-step function auf englisch, abgekürzt IUSF). Diese beträgt "1" in ihrer Grundzeiteinheit und "0" außerhalb derselben. Die entsprechende Graphik wird in Fig. 1 gezeigt:

Wenn eine Münze von Zar Iwan Alexander (1330-1371) geprägt wurde, schreiben wir sie zwei Grundzeiteinheiten zu: [1340-1360] und [1360-1380]. So wird die Funktion aller zwischen 1910 und 1959 in Bulgarien gefundenen und veröffentlichten Münzen definiert.

Schließlich werden alle Funktionen graphisch zusammengefaßt

fig 1
Fig. 1: Graphik der Individuellen Schritt-Einheits-Funktion einer Münze, die von Zar Ivan Schischman (1371-1393) geprägt wurde.

Um sicherzugehen, daß alle Funktionen in der Graphik in ausgewogener Weise zum Endergebniss beitragen, multiplizieren wir die Werte jedes IUSF mit einem Koeffizienten, der von der Menge Grundzeiteinheiten abhängt, in der die Funktion nicht Null beträgt. Das heißt, wir multiplizieren mit 60 die Funktion einer Münze, die einer einzigen Grundzeiteinheit (20 Jahre) entspricht, und mit 30 oder 20 die Funktionen der Münzen, die zwei oder drei Grundzeiteinheiten zugeschrieben werden. So hat das Rechteck, das in der Graphik 1 die Münze darstellt, zwischen Abszisse und Ordinate, immer den Wert 1200.

Das kann man als mathematische Formel so ausdrücken: IUSF (t; münze) = formula
wobei: formula2die Datierungsperiode der Münze ist und t nicht ein spezifisches Jahr, sondern eine Zeiteinheit (20 Jahre); n ist die Anzahl der Grundzeiteinheiten in der Periode formula2, das heißt ihre "Länge". Zusammenfassend erhalten wir den Wert CDC(t)=Σ IUSF(t; coin).

Die so dargestellte chronologische Verteilung der Münzen (CDC) ist nur eine Zeitfunktion, denn die Anzahl der in Bulgarien zwischen 1910 und 1959 gefundenen und veröffentlichten Münzen (CFBP-1910-1959) ist festgelegt und die Endsumme enthält alle IUSFs der Münzen. Die Anzahl der IUSFs ist so groß, daß man mit dem Computer arbeiten muß. Ein MS Excel Programm kann für diese Zusammenrechnung und die graphische Darstellung verwendet werden. Mehr Einzelheiten in früheren Veröffentlichungen des Autors. Diese Graphiken sind sehr praktisch, und geschichtliche Daten darzustellen und zu analysieren.

Diese Graphik wurde durch ein Excel-Programm erstellt.
fig 2
 
Fig. 2: Graphik der 1910-1959 in Bulgarien gefundenen und veröffentlichten Münzen
IV. - Untersuchung der Verläßlichkeit der Daten  

Da die Auffindung von Münzen ein Zufallsvorgang ist, nahmen wir natürlicherweise an, daß nach einer genügend großen Anzahl von Eintragungen die Kurve sich festigen müßte. Dies war auch der Fall. Man betrachte hierzu die Tafeln 3 und 4.

Im Vergleich mit Tafel 2 ergibt sich, daß die Unterschiede sehr gering sind, alle Höhen und Tiefen sind übereinstimmend verteilt
fig3
Fig. 3: Chronologische Verteilung der 1910-1934 in Bulgarien gefundenen und veröffentlichten Münzen.

.

Daraus ergibt sich: 1. Zusätzliche Daten würden die Eigenschaften der Kurve in Tafel 2 nicht wesentlich ändern, vor allem nicht die Minima und Maxima und das Verhältnis zwischen den beiden.

fig4
Fig. 4: Chronologische Verteilung der 1910-1959 in Bulgarien gefundenen und veröffentlichten Münzen.

2. Die Tafel zeigt ein adäquates Bild aller Funde jener Zeit einschließlich der nicht veröffentlichten Münzen; ihre Einfügung würde das Bild nicht wesentlich ändern.

V - Anomalien der zeitlichen Verteilung  

Wir möchten vier Anomalien hervorheben, die ins Auge springen und nach unserer Meinung höchst bedeutsam sind:

  1. Ungefähr 60% aller Münzfunde gehören in den Zeitraum –400,400
  2. Die Anzahl der Münzen im Zeitraum 400,1050 ist vernachlässigenswert
  3. Der Prozentsatz der türkischen Münzen aus der Zeit der türkischen Versklavung, d.h. geprägt nach 1400, ist sehr klein, was für das 16. bis 18. Jh. seltsam aussieht
  4. Die Zeiträume 200,260 und 1180,1240 sind mit großer Anzahl Münzen vertreten.

Die ersten beiden Anomalien zeigen, daß die Fehldatierung einiger alter Münzen wahrscheinlich ist. Die zweite wollen wir ausführlich betrachten:

VI - Das Problem der byzantinischen Münzen  

In seiner Erforschung der byzantinischen Städte verwendete Kazhdan (1954, S. 164-188) jedes erreichbare Datum über alte Münzen als archäologisches Material. Er benützte zweierlei Arten von Quellen:

  1. Kataloge großer Museen
  2. Berichte über Münzfunde (Ausgrabungen und Hortfunde).

Kazhdan schrieb (S. 166): „Die Kataloge großer Sammlungen bringen Beschreibungen von Hunderten von Münzen und erlauben versuchweise Aussagen über die Prägungshäufigkeit in verschiedenen Abschnitten der byzantinischen Geschichte.“ Kazhdan schuf Tafel 5 mit Hilfe der Daten über byzantinische Münzen in der Sammlung des British Museum wie veröffentlicht durch Wroth (1908).

Periode
Periode der Münzzirkulation in Jahren
Anzahl der Münzen
Ratio der Anzahl der Münzen bezüglich der Jahre
Von Anastasius I bis Mauritius (491-602)
111
1.349
12,3
Von Phocas bis Konstantin IV (602-685)
83
1.134
13,7
Von Justinian II bis Michael II (685-829)
144
423
2,9
Von Theophilus bis Nicephorus II Phocas (829-969)
140
226
1,6
Von Johannes Tzimisces bis Nicephorus III (969-1081)
112
283
2,5
Von Alexius I Comnenus bis Alexius III (1081-1195)
114
349
3,0
Fig. 5: Daten der byzantinischen Münzen im British Museum; Tafel vonA. P. Kazhdan

Die rechte Spalte der Tafel 5 entspricht dem, was wir hier die zeitliche Verteilung der Münzen nennen. In einem neuen Programm (MS Excel) haben wir die Anordnung in Tafel 6 hergestellt, wobei die Perioden in 20-Jahr-Grundzeiteinheiten aufgeteilt wurden, wie oben beschrieben.

Die Tafel 6 bringt Information über die zeitliche Verteilung byzantinischer Münzen zwischen 491 und 1195 nach Kazhdan. Insofern enthalten Tafel 5 und 6 fast dieselbe Information, wobei die Tafel 6 bildlich einen besseren Einblick ermöglicht.
fig 6
Fig. 6: Chronological Distribution of Byzantine coins from the collection of the British Museum according to Kazhdan (Kazhdan, 1954, pp. 164-188).

Da die Grundzeitintervalle in Tafel 5 (etwa 100 Jahre und mehr) größer sind als in unserer eigenen Aufstellung, ist die Funktion in Tafel 6 gröber. Dennoch ersah Kazhdan daraus eine Besonderheit: Die Zeit des 8. bis 10. Jh. ist durch eine kleinere Anzahl Münzen präsentiert.

Auch die Tafeln 7 und 8, die auf der Sammlung byzantinischer Münzen des Grafen I. I. Tolstoy (1912-1914) basiert, zeigen dieselbe Besonderheit.

Periode
Periode der Münzzirkulation in Jahren
Anzahl der Münzen
Ratio der Anzahl der Münzen bezüglich der Jahre
Von Anastasius I bis Mauritius (491-602)
111
1.578
14,3
Von Phocas bis Konstantin IV (602-685)
83
1.129
13,6
Von Justinian II bis Michael II (685-829)
144
532
3,7
Von Theophilus bis Michael III (829-867)
38
72
1,9
Fig. 7: Daten der byzantinischen Münzen der Sammlung des Grafen I. I. Tolstoy; Tafel von A. P. Kazhdan.

Kazhdan zieht die Schlußfolgerung: „Betrachtet man die Angaben in den Katalogen, könnte man vermuten, daß an der Grenze zwischen 7. und 8. Jh. Byzanz in eine Zeit deutlicher wirtschaftlicher Änderungen eintrat, die in der Verringerung von Münzprägungen ihren Ausdruck fand.

fig 8
Fig. 8: Zeitliche Verteilung der byzantinischen Münzen in der Sammlung des Grafen I. I. Tolstoy.

Diese Folgerung bleibt jedoch hypothetisch und sollte nachgeprüft werden. Tatsache ist, daß die Münzsammlungen stets persönlichen und zufälligen Charakter haben, besonders wenn die eine oder andere Münze häufiger vorkommt, kann dies an der Auswahl des Sammlers liegen. Deshalb findet man auch meist seltene Münzen in diesen Sammlungen. Außerdem haben die Münzen, die die Komnenen und Paläologen in den letzten Jahrhunderten ihrer Herrschaft prägten, für die Sammler geringeres Interesse als die früheren. Alle diese Faktoren verändern natürlich das Bild, weshalb die Angaben der Kataloge mit denen in den Veröffentlichungen von Ausgrabungen und Hortfunden verglichen werden sollten... Beachtet man alle diese Faktoren, dann haben alle weiteren Überlegungen und Berechnungen nur vorläufigen und versuchsweisen Wert, obgleich mir scheint, daß die große Masse der Münzen eine gewisse Garantie für die Relevanz der Folgerungen aus dem Münzmaterial enthält.“ (1954, S. 167)

Auf dieser Grundlage widmet Kazhdan seine Aufmerksamkeit den Veröffentlichungen von Ausgrabungen und Hortfunden und benützt deren Angaben zur Bestätigung seiner Erwartung, daß (dieser Satz sollte wiederholt werden) „die große Masse der Münzen eine gewisse Garantie für die Relevanz der Folgerungen aus dem Münzmaterial enthält.“ Wichtig ist anzumerken, daß er in seiner Untersuchung die Angaben über mehr als 50.000 byzantinischer Münzen verwertet.

Wir fügen alle zusammen und errichten die zeitliche Verteilung im Zeitraum 500,1000, was folgende Tafel 9 ergibt. So kann Kazhdan überzeugend die ‚Geldkrise‘ in der byzantinischen Geschichte zeigen. Sie erfaßt das 8. bis 9. Jh.

fig9
Fig. 9: Chronologische Verteilung aller in Kazhdans Arbeit einbezogenen Münzen (Kazhdan, 1954, pp. 164-188)

Eine ähnliche Schlußfolgerung wird durch die Angaben von R. Lazer (1980, zitiert in Romanchuk 2003, S. 132-137) bewiesen für römische und frühe byzantinische Münzen (1641 insgesamt), die in Mitteldeutschland (DDR) ausgegraben wurden, und durch die Ergebnisse von Kropotkin (1961 und 1962) über Funde derselben Münztypen auf dem Gebiet der ehem. UdSSR und Osteuropas (11729 insgesamt). Die Zahlen von Kropotkin für byzantinische Münzen in Osteuropa, die ins 8.-9. Jh. datiert sind, spricht für sich: 2 Münzen vom 8. Jh. und 11 vom 9. Jh. (1962, Tafel 1).

Hier scheint ein ernstes wissenschaftliches Problem vorzuliegen, denn Leben in einer Stadt, auch einer kleinen, ist ohne Münzen unmöglich. Die Mehrzahl der Bürger stellt keine Nahrungsmittel wie Korn, Milch, Fleisch usw. her und muß ihre Nahrung kaufen, wofür Geld nötig ist. Bekannt ist, daß in einigen Ländern statt Geld Leder verwendet wurde, aber soweit aus byzantinischen Quellen erschließbar wurden dort nur Münzen verwendet. Darum müssen in Städten wie Konstantinopel, Serdica (Sofia) und Philippopolis (Plovdiv), heute in Bulgarien, Münzen in Umlauf gewesen sein. Sie müssen also geprägt worden sein. Aber wo sind sie? Warum können Archäologen sie in Bulgarien nicht finden?

VII. - Warum kamen keine Münzen des 8. und 9. Jh auf uns?  

Kazhdan schlägt aus seiner Sicht folgende Antwort vor: Im 8. und 9. Jh. verfielen die Städte, alle byzantinischen Städte verschwanden oder wurden zu Dörfern, und nur Städte wie Konstantinopel, Thessaloniki und Nikäa überlebten, aber sie verloren ihren führenden wirtschaftlichen Status. Kazhdan schrieb (1954, S. 164-188):

„Das von uns studierte Material erlaubt nicht dem zuzustimmen, was allgemein in bürgerlicher Geschichtsschreibung steht, daß das byzantinische Reich immer ein städtisches war. Mit dem Untergang der Sklavenhaltung im Produktionsbetrieb des Oströmischen Reiches verschwanden fast alle sklavenhaltenden antiken Städte auf dem Balkan und in Kleinasien. Nur einige Städte außer Konstantinopel überlebten den Untergang der Sklavenhaltergesellschaft, aber auch sie verloren ihre wirtschaftliche Bedeutung.“

Das klingt nach einem Angriff auf die „bürgerliche Geschichtsschreibung“, aber der Kern bleibt stehen, daß die Städte verschwanden. Dies paßt zum Konzept der „dunklen Jahrhunderte“, nämlich dem 8., 9. und 10. Jh. Man sollte die Ausnahmen von der Regel beachten, jene Städte, die nach Kazhdan ihren urbanen Charakter behielten. Man hat den Eindruck, daß Kazhdan für keine von ihnen Angaben macht über die Anzahl der in jenen Städten oder ihrer Umgebung gefundenen Münzen. Betrachtet man den Katalog des British Museum und die Sammlung von Graf Tolstoy, so stellen wir fest, daß die Anzahl der Münzen aus den „überlebenenden“ Städten aus dem 8. und 9. Jh. zu klein ist. Objektive Angaben fehlen, außer einigen möglichen schriftlichen Quellen, die diese Ausnahmen ermöglichen könnten.

All das erweckt die Vermutung, daß Kazhdan versucht hatte, das deutliche Ergebnis seiner Untersuchung abzuschwächen und so zum Teil den Widerspruch zwischen diesem und den allgemeinen Annahmen über die Zeit des 8. bis 10. Jhs. zu verdecken.

Einige Jahre nach der Veröffentlichung von Kazhdans Artikel schlug eine sowjetische Historikerin, I. V. Sokolova, eine Erklärung für das Fehlen von Münzen im genannten Zeitraum vor, um das von Kazhdan erkannte Problem zu lösen (Sokolova 1959, pp.50-63). In der Einleitung zu ihrem Artikel zeigt sie, daß sie die Bedeutung der Münzen für die Historikerarbeit sehr wohl erkannt hat:

„Münzen sind eine sehr reiche, vielseitige und interessante geschichtliche Quelle. Da sie als Werkzeug für den Handel erdacht wurden, reflektieren sie in beträchtlicher Weise den Zustand und die Höhe der ökonomischen Entwicklung eines Landes während einer gewissen Epoche. So liefert die Untersuchung der Münzen selbst sowie des Geldsystems und ihres Umlaufs und der Inhalt von Hortfunden, zufälligen oder archäologischen Funden, Gelegenheit, das Bild des monetären Umlaufs zu zeichnen, die wirtschaftlichen Zentren und Regionen, innere Handelspfade, internationale Handelsbeziehungen usw .zu erkennen". (S. 50).

In weiteren Sätzen wird aber deutlich, daß sie Kazhdans Methode und Ergebnis nicht akzeptiert: „Man muß in Betracht ziehen, daß das Münzmaterial nur dann Wert hat, wenn es von allen Gesichtspunkten betrachtet wird, mit korrekten Methoden und im Vergleich mit den schriftlichen Quellen. Einseitige Auswahl wird zu falschen Folgerungen führen.“ (ibd).

Wie wir sehen, hat Sokolova den Widerspruch zwischen den Folgerungen Kazhdans und den allgemeinen Annahmen sowie den erzählenden Quellen gut erkannt. Sie setzt das besondere Verständnis der Hortfunde zur Grundlage ihrer Ablehnung. Da viele Münzen häufig am selben Platz in Gruppen von Hunderten oder gar Tausenden gefunden werden, beginnt sie ihre Kritik an Kazhdans Arbeit mit den Worten: „So hat Kazhdan unrecht, wenn er Hortfunde nicht als Denkmal aus der Zeit ihres Versteckens sondern als zufällig angehäuftes Material ansieht. Kazhdan zerlegt die Münzen nach ihren Herkunftsjahrhunderten und faßt die entsprechenden Teile aller Hortfunde zusammen, dann vergleicht er die Ergebnisse und nimmt sie für einen Anzeiger der Häufigkeit von Münzprägung oder ihrer Verteilung in fremden Ländern in verschiedenen Zeiträumen. Dabei zieht er weder die Größe der Prägegegend noch das Metall der Münzen im Hort in Betracht.“ (ibd.).

Kazhdan hat tatsächlich das Münzmetall außer acht gelassen sowie eine Reihe unwichtiger Aspekte, deren Bedeutung für eine erste Annäherung gering ist. Was die Größe der Prägegegend betrifft, hat Sokolova unrecht, denn Kazhdan betrachtet eine Gruppe Städte des byzantinischen Reiches, die repräsentativ ist und daher einen adäquaten Blick auf das wirtschaftliche Leben des ganzen Landes erlaubt. Aber ihr Hauptargument gegen Kazhdans Folgerung ist dieses: „Zufluß und Rückfluß in Hortfunden hängt direkt davon ab, wie sehr die Bevölkerung dieser Gegend durch Kriege bedroht war.“(S. 52).

Ihrer Meinung nach haben die Leute in der Vergangenheit ihre Münzen vergraben aus Furcht vor Eroberern. Wir fragen dagegen: Könnten sie nicht auch ihr Geld aus Furcht vor Verwandten, Kindern und Enkeln, vergraben haben? Oder vor Fremden, Feinden und Dieben? Konnten sie ihr Geld etwa in Schweizer Banken anlegen? Diese Annahme von Sokolova ist unannehmbar. In den meisten Fällen verbergen Leute ihr Geld nicht aus Furcht vor Krieg sondern aus anderen Gründen.

Selbst wenn man annehmen würde, daß Sokolova recht hat, wäre es besser anzunehmen, daß – angesichts der häufigen bulgarischen Überfälle auf Byzanz im 8. und 9. Jh. – die Horte im heutigen Süd-Bulgarien wegen Kriegsgefahr vergraben wurden. Die archäologischen Daten zeigen das Gegenteil, wie wir sahen, Daher sind die Einwürfe von Sokolova gegen Kazhdan nicht akzeptabel, einerseits weil sie auf der falschen Annahme beruhen, in jener Zeit habe Frieden auf der Balkanhalbinsel geherrscht, und andererseits weil sie nicht zu den Verhaltensweisen der Leute passen, die ihr Geld vergraben.

Kürzlich hat Romanchuk (2003, pp. 132-137) eine mittlere Stellung eingenommen zwischen Kazhdan und Sokolova, betreff der Anzahl der gefundenen Münzen und ihrer Prägung zu verschiedenen Zeiten. Er merkte an, daß Münzen auch nach der Zeit des prägenden Herrschers in Umlauf gewesen sein könnten. Er bringt Argumente vor, die auf Kropotkin (1961, p. 17) zurückgehen und bezeugen, daß Münzfunde aus der römischen Zeit des 3. Jh.s immer auch Münzen aus dem 1. und 2. Jh. enthalten. Dies führt unserer Meinung nach zu der Folgerung, daß systematische Fehler in der Datierung der Münzen vorliegen.

VIII. - Die dritte und vierte Anomalie  

Zwei weitere der in § 5 erwähnten Anomalien sollen erörtert werden: Betrachten wir die Mengen der Münzen aus den Zeiträumen 220,320 und 1480,1580. Vom modernen geschichtlichen Standpunkt aus gesehen sollten vom zweiten Zeitraum mehr Münzen als vom ersten zu erwarten sein. Dafür sprechen zwei Argumente:

  1. In der ersten Hälfte des ersten Zeitraums war die römische Herrschaft auf dem Balkan in einer Krise. Barbarische Überfälle führten zu Stagnation in vielen Bereichen des Lebens im Gebiet des heutigen Bulgarien, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht. Zwischen 1480 und 1580 war das Gebiet des heutigen Bulgarien Teil des Osmanischen Reiches und erlebte wirtschaftliches Wachstum. Die Berichte von Reisenden, die die Balkanhalbinsel auf ihrem Weg nach Konstantinopel durchquerten, erwähnen Karawansereien und Dutzende oder gar Hunderte von Läden in den Städten (siehe Kluskova 2002), also offensichtliche Anzeichen für lebhaften Handel.
  2. Das zweite Zeitintervall liegt später und daher sollte der Anteil der vorhandenen Münzen größer (zumindest nicht kleiner) sein als im ersten Zeitintervall. Aber aus Tafel 2 geht hervor, daß die größte Geldzirkulation in bulgarischen Gebieten gerade in jenem Zeitraum war: 220-230. Es waren zehnmal soviel Münzen in Umlauf wie im Zeitraum 1480-1580. Derartige Unterschiede sind unrealistisch, wenn man bedenkt, daß ein Teil der balkanischen Bevölkerung im 3. Jh. Sklaven waren und daher am Münzumlauf nicht beteiligt.
IX. - Schlußfolgerungen  

Die Analyse der Schautafel ergibt nach den Gesichtspunkten heutiger historischer Wissenschaft eine Anzahl von Widersprüchen. Erklärungen müssen in verschiedenen Richtungen gesucht werden, wobei die natürlichste jene ist, die die inkorrekte Datierung der Münzen anvisiert.

Die Größe der Anomalien gibt Anlaß zu der Annahme, daß einige der alten Münzen falsch datiert wurden. Weitere Untersuchungen sind nötig, um diesen Schluß zu bestätigen.


Literatur (Englische Fassung beibehalten)

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