Betrachtungen zur Zeitfälschung

Gert Meier
Köln · 2006
(zuerst veröffentlicht in EFODON-SYNESIS Nr. 2/2004)

1. Zur Chronologiekritik und dem Umgang mit ihr,
wenn man für normale Menschen schreibt
 

Zu den Chronologiekritikern gehöre ich nicht. Davon verstehe ich zu wenig. Das bedeutet: ich kann zu dieser Frage keine Stellung beziehen. In meinem Buch „Die deutsche Frühzeit war ganz anders“ 1 habe ich auf das Dilemma eines Autoren hingewiesen, der bei der Behandlung des Themas „Karl der Große“ auf die Behauptung von Heribert Illig 2 und anderer 3 gestoßen ist, wonach die Geschichte dieses fränkischen Stalins, sollte er denn je gelebt oder die Taten begangen haben, deren die Geschichtswissenschaft  ihn zeiht, frei erfunden sei. Andere wieder können darlegen, daß die Thesen Illigs durch zahlreiche Münzfunde, vor allem in den skandinavischen Ländern, die außerhalb des Zugriffs der Fälschergilde lagen, numismatisch widerlegt sei. Aber das bringt auch nicht viel weiter, wenn es diese auf den Münzen abgebildeten Herrscher zwar gab, aber zu anderer Zeit und mit ganz anderen Lebensinhalten; wenn es einen Karl zwar gab, aber als Kleinkönig von Aachen.

Wie habe ich mich beholfen? Ich habe die Meinung von Illig erwähnt und dann die herkömmliche Geschichte von Karl „dem Großen“, mich auf Ernst W. Wies 4 stützend, so abgehandelt, als ob sie stattgefunden hätte. Was sollte ich damals anderes tun? Der geschätzte Leser hätte sich, hätte ich mich Illig angeschlossen, an die Stirn getippt – und das Buch mit den zahlreichen zusätzlichen Informationen nach den ersten zehn Seiten dankend beiseite gelegt. Das hat er nach hundert Seiten wahrscheinlich ohnehin getan. Aber hundert Seiten Informationen hat er doch zusätzlich mitgenommen.

Was ich damit sagen will, ist folgendes:  Man tut sowohl der konventionellen Forschung als auch der Chronologiekritik einen Bärendienst, wenn man beide Positionen in einer   wissenschaftlichen Abhandlung verbindet. Ein bekannter Vertreter der Chronologiekritik und Autor dieser Zeitschrift hielt im Oktober in Bad Laer einen hervorragenden Vortrag zum Thema: Vor- oder frühgeschichtliche Liniensysteme im Raum Karlsruhe. Er würzte seinen Vortrag indessen mit der Behauptung: Kaiser Friedrich Barbarossa sei der Anführer der Barbaren gewesen und hätte gegen die Römer gekämpft. Niemanden hat unser Freund zur Chronologiekritik bekehrt. Aber viele haben den Kopf geschüttelt, und der Redner hat völlig überflüssigerweise seine Ausführungen zum Thema „Liniensysteme“ entwertet. Die Vertreter der Chronologiekritik sollten unnötige Eigentore vermeiden.

Ich teile auch nicht die Meinung eines mir befreundeten Chronologiekritikers, der Skrupel an Veröffentlichungen hegt, weil keine Chance besteht, die öffentliche Meinung jemals für sich zu gewinnen. Es ist die heilige Pflicht eines jedes Wissenschaftlers, die Lanze für das zu brechen, was er für die Wahrheit hält. Die Welt ist voller Voreingenommener, die nicht bereit sind, ihre Meinung notfalls zu revidieren. Und karrieresüchtige Feiglinge gibt es mehr als genug. Aber es gibt auch genügend Gutwillige, die nur mangels Informationen immer noch zur Spreu statt zum Weizen gehören. Und für die schreiben wir. Wer seine Meinung in der Hoffnung kund tut, „die Wissenschaft“ von seiner abweichenden Meinung zu überzeugen, nun ja, dem will ich seinen guten Glauben an das Gelingen dieser Absicht nicht zerstören, - wenn das, was er in der Sache bringt, wissenschaftlich weiterführt.

2. Zu einigen Thesen der ZeitFälschung von Uwe Topper,
die ungelöste Rätsel erklären könnten

 

Uwe Topper hat, sehr belesen, über den Ursprung unseres heutigen Geschichtsbildes geschrieben: „ZeitFälschung“ (München, 2003). Die Schlüssigkeit seiner Thesen kann ich nicht überprüfen und noch weniger beurteilen. Ich habe es nur bis zu meinem hannoverschen Kollegen Wilhelm Kammeier gebracht, und danach wurde die katholische Kirche im Jahre 1409 auf dem Konzil von Pisa gegründet. Zu Recht hat Wolfram Zarnack Kammeier gegen die unausgewogene Kritik von Heribert Illig in Schutz genommen 5. Wilhelm Kammeier könnte deshalb für das Thema „Geschichtsfälschung“ ein gemeinsamer Nenner auch der Jesus-Skeptiker sein 6.

Illig geht über Kammeier hinaus, indem er dreihundert Jahre deutscher Geschichte, das gesamte frühe Mittelalter, für frei erfunden hält. Die Ottonen schließen an die Merowinger an. Ihm folgt – insoweit - Zarnack. Topper wiederum geht einen Schritt weiter und erklärt, warum es zur „Großen Aktion“, der Fälschungsaktionen der römisch-katholischen Kirche kam. Um 1350 habe es eine Zerstörung ungeahnten Ausmaßes gegeben. Den „letzten großen Ruck“ nennt er dieses Ereignis in Anlehnung an den Schweizer Historiker Egon Friedell. Die Überlebenden hätten zunächst versucht, sich der Vergangenheit zu erinnern, bis die sich zunächst in Frankreich konstituierende später römische Kirche die Erfindung der Geschichte in ihre Hand genommen habe. 

Ich finde – bei aller nachstehend geäußerter Kritik – diesen Ansatz von Topper vom Ergebnis her interessant und, sollte Topper Recht haben, epochemachend. Eine ganze Reihe von bisherigen Rätseln der Geschichte würden sich zwanglos erklären, wenn Uwe Topper recht hätte. Ich greife einige heraus.

a) Die Renaissance
Das Wort „Renaissance“ bekäme einen ganz anderen, seinen ursprünglichen Sinn „Wiedergeburt“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn den Thesen Toppers zu trauen wäre. Aus den Trümmern der Antike, hervorgerufen durch einen Kataklysmus, ist die Welt nach  1350 wiedererstanden. Auferstanden aus Ruinen... Ein zwischen Antike und dem „letzten großen Ruck“ liegendes mehr oder weniger dunkles Zeitalter hätte es nie gegeben. Der Sinngehalt des Wortes „Renaissance“ spricht für Uwe Topper.

b) Jesus keine historische Gestalt
Auch für die These von Topper, Jesus habe nie gelebt, gibt es eine ganze Reihe wichtiger Argumente. Niemand, der gläubig ist, lässt sich gerne sein süßes Jesuslein rauben. Aber die Beweise dafür, daß das Neue Testament keine Darstellung geschichtlicher Geschehensabläufe ist, daß es vielmehr nie einen historischen Jesus gegeben hat, sind erdrückend. Eigentlich hat Arthur Drews 7 bereits vor fast hundert Jahren, 1909 und 1911, das Erforderliche gesagt. Natürlich ohne durchschlagenden Erfolg. Außer Arthur Drews und den von ihm zitierten Autoren zweifeln – aus sehr unterschiedlichen Gründen – an der realen Existenz eines Jesus, erst recht eines Jesus „von Nazareth“, auch andere Autoren: Wilhelm Kammeier 8, Wolfram Zarnack 9, Rudolf Augstein 10, um nur einige zu nennen.

Keiner dieser Autoren, von Drews und Augstein einmal abgesehen, hatte Breitenwirkung. Das postum erschienene Buch von Wilhelm Kammeier ist überhaupt nur einer kleinen Gemeinde von Eingeweihten bekannt geworden. Die berechtigte Korrektur an dem, was Kammeier geschrieben hat, hat dort, wo es angebracht war, Uwe Topper nachgeholt. Im Grunde sind sich alle vier Kritiker mit dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein einig: Jesus, den Christus, hat es als historische Persönlichkeit nie gegeben. Ich teile diese Auffassung und begründe diese aus  religionshistorischer Sicht.
Das westliche Christentum hat den Angriff von Drews, der seinerzeit erhebliches Aufsehen erregt hat, unbeschadet überstanden. Das heute maßgebliche Buch von Walter Kasper über Jesus 11 erwähnt Drews  – allerdings geifernd; verbrennen kann man diesen Typ leider nicht mehr – nur noch als Kuriosität. Das liest sich im Originaltext dann wie folgt:

„Er (Stoß) vertrat nicht nur die unsinnige These, die A. Drews um die Jahrhundertwende mit geradezu missionarischem Eifer aufstellte, Jesus sei nur ein Mythos gewesen und habe nie wirklich existiert...“, 
Walter Kasper ist einer der maßgeblichen Theologen der katholischen Kirche. Hat er jemals darüber nachgedacht, in welchem Licht er dasteht, wenn er ein dickes Buch über Jesus den Christos schreibt und sich herausstellen sollte, daß es den angeblichen Weltenerlöser als historische Persönlichkeit nie gegeben hat?
In unserem Buch „Die Hochkultur der Megalithzeit“ 12 habe ich – von meinen Kritikern heftig bescholten – die Religion der Träger der Megalithkultur – genauer: des an den Externsteinen praktizierten religiösen Kults – analysiert. Ich habe das christliche dem megalithischen Glaubensbekenntnis der Externsteine gegenübergestellt. Es besteht Identität bis ins Detail:  mit Ausnahme des Erlösungsglaubens. Für die Träger der Megalithkultur ist es der ewige Jahresgott als Sinnbild des Jahreslaufs der Sonne, der um die Jahreswende drei Nächte lang in den Mütterwassern des Südens versinkt, um am Neujahrstage neu geboren zu werden und mit erhobenen Armen bis zur Sommersonnenwende seinen Siegeszug durch das Jahr antritt. Nach der Sommersonnenwende beginnt er, gesenkten Armes, seinen Abstieg und endet sterbend zum Jahresende. Drei Tage wiederum verharrt er in den Mütterwassern des Südens, um am Neujahrstage wieder aufzuerstehen.

Ich habe mir diese auffällige Übereinstimmung zwischen gesicherter megalithischer Überlieferung und der Schilderung der vita des Christos im Neuen Testament nie erklären können. Nach Topper wäre die Entstehungsgeschichte der Person des Jesus erklärbar. Die megalithische war in verschiedenen Ausformungen bis zum Beginn des römisch-katholischen Christentums die herrschende Religion Nordwest-Europas gewesen, von der römisch-katholischen Religion (nach dem Kataklysmus erweitert) erinnert, niedergeschrieben und um die Erlösungs-Komponente der Evangelien erweitert.

Dieser Jahresgott der arktisch/atlantischen Kultur der Vorgeschichte hat im Laufe der Geschichte viele Namen getragen. Er hat seinen Namen auch, je nach Jahreszeit, geändert. Einer seiner Namen war Apoll 13. Er  trägt aber auch den Namen Jesus. Dieser Name hängt, wie von Zarnack richtig analysiert, mit lat. jus = Recht, eigentlich „das Rechte“, zusammen. Der Jahreslauf der Sonne ist Inbegriff der rechten Ordnung auf der Erde. Jesus ist – anders als viele christlichen Heiligen – kein Vertreter des Heroenkults. Heroen haben in der Regel einen historischen Hintergrund. Jesus ist der alte Jahresgott. Mit allen Attributen – außer „von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten“  und „die Vergebung der Sünden, die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben –-  zwei Zacken, die ihm das römisch-katholische Glaubensbekenntnis nachträglich in die Krone gesetzt hat. Die Tatsache, daß Jesus einer der Namen des Jahresgottes ist, stellt einen wichtigen Beweis dafür dar, daß Jesus der Christos niemals wahrer Mensch war. Er ist nur wahrer Gott.

Der Hinweis auf die fehlende Historizität von Jesus „von Nazareth“ scheint nicht nur ein öffentliches Ärgernis, sondern auch eine individuelle Hemmschwelle von Autoren zu sein. Es grenzt an eine Schnurre, wie viele kritisch eingestellte Wissenschaftler nicht wagen, sich selbst, und erst recht nicht anderen einzugestehen, daß Jesus als Mensch nie gelebt hat und als Gott ein Gleichnis und allenfalls ein inneres Bildnis ist. Das Wissen darum, daß das so ist, war eine der wirklichen Errungenschaften der verblichenen Deutschen Demokratischen Republik.

Jesus als Figur kommt aus dem Norden, genauer: aus dem Nordwesten Alteuropas. Das bestätigen auch die spracharchäologischen Forschungen von Wolfram Zarnack. Danach nahmen die kultischen Vorstellungen um den Heiland im nordwestlichen Alteuropa ihren Ursprung. Zu Recht weist er auf die enge Verwandtschaft vieler Worte der hebräischen Sprache mit der „germanischen“ Sprache hin, die nach den Forschungen von Arnold Wadler 14 bestehen. Dieses Forschungspotenzial ist überhaupt noch nicht wissenschaftlich angegangen worden. Dagegen kann auch die katholische Kirche nicht argumentieren.

Nach den Thesen von Uwe Topper war die uralte Mythe vom Jahresgott noch gelebter Glaube, als um 1350 der angebliche Kataklysmus erfolgte. Die alte Religion war noch im Gedächtnis der Überlebenden bewahrt. Die Erlösungs-Komponente in der christlichen Religion erklärt sich aus der Furcht vor einer Wiederholung eines weiteren erwarteten „Großen Rucks“, der dieses Mal keine Überlebenden verhieß; der sich aber nicht einstellte. Wie erklärt sich dann die Erlösungskomponente bei anderen Erlösungsreligionen, im Mithras-Kult oder im Manichäismus zum Beispiel?    

c. Religionswechsel in West- und Mittel­europa im 14. Jahrhundert
Für gut begründet erachte ich die These von Topper, es habe ein Religionswechsel stattgefunden, als es schon Kirchengebäude gab. Viele Kirchen Schleswig-Holsteins hatten  ursprünglich ihre Eingänge nach Norden und nach Süden gehabt. Irgendwann wurden die Südportale vermauert und die Nordportale eingefriedet. Die neuen Öffnungen befanden sich im Westen, im Westwerk, und im Osten. Dieses könnte das Zeichen eines Religionswechsels gewesen sein: von einer – vielleicht christlichen 15 – Religion, die bereits Kirchen kannte, zum römisch-katholischen Christentum. Was Uwe Topper zur Welt des Hieronymus Bosch geschrieben hat, sehr viel breiter angelegt in seinem neuen Manuskript 16, erscheint mir überzeugend.

Wahrscheinlich gehört auch das Thema der „Jahreslöwen“ und anderer Tiere an oder bei kirchlichen Bauten – etwa in Worms oder Rosheim/Elsaß –  in das Portefeuille der katholischen Vorgängerreligion in Europa 17. Die sogenannten Jahreslöwen (Bären, Hunde, Schwäne, Störche etc.) sind die wintersonnenwendlichen Begleiter des sterbenden und am Tage nach der Wintersonnenwende auferstehenden Jahresgottes der megalithischen, vielleicht auch vormegalithischen Religion. Die Jahreslöwen und andere Tiere gehören wahrscheinlich in die Reihe der Beweismittel für das Vorhandensein vor-katholischer Kirchen in Mitteleuropa. Sie zeigen, daß jeden­falls die romanischen Kirchen zunächst Kultstätten einer nicht-katholischen oder sogar nicht-christlichen Religion waren und daß die offizielle Religionsgeschichte und natürlich erst Recht die römische Kirchengeschichte die religionshistorischen Geschehensabläufe völlig falsch darstellt. Jedenfalls kann kaum ein Zweifel daran bestehen – siehe die Kathedrale von Chartres, in der am Tage der Wintersonnenwende genau um zehn vor zwei Uhr mittags durch ein „Sonnenloch“ das Zentrum des Labyrinths beleuchtet wird 18; alle anderen Labyrinthe in französischen Kathedralen wurden von der katholischen Kirche im 18. Jahrhundert beseitigt 19.

Das zeigt, daß es in der vor-katholischen Religion Europas um die Sonnenwenden, im Falle von Chartres um die Sommersonnenwende, und damit um den Jahreslauf der Sonne geht. Dabei darf nicht verkannt werden, daß auch die Gotik, die die Schwere der Mauern der Romanik überwand, eine Baukunst des Lichtes ist. Wenn Topper Recht hat, gehören auch die gotischen Bauten noch seiner „Religion des Lichtes“ an. Erst mit der Renaissance entstanden die Kirchen der neuen, christlich-katholischen Religion.

Ich vermute auch Beziehungen dieser vor-katholischen Religion zu den Tierkreiszeichen, die in einer Reihe von „christianisierten“ Kirchen, zum Beispiel in Wormbach oder in St. Gereon zu Köln, erhalten sind 20.
Kritikern von Topper rate ich, einmal nach Avignon zu reisen und sich die Papstpaläste anzusehen; und nach Rom, wo Renaissance und vor allem Barock unmittelbar auf der Antike fußen und Zwischenstufen nicht erkennbar sind – wie Wolfram Zarnack 21 festgestellt hat. Zarnack weist nämlich nach, daß es in der Stadt Rom weder romanische noch gotische Großbauten gibt. Ich habe diese Befunde vor Ort überprüft und für gut befunden. Fürwahr: Reisen bildet. 

 d. Die Ansatzplanung für menschliche Siedlungen aufgrund geodätischer Liniensysteme
Aber vor allem: Hermann Zschweigert und auch ich haben uns immer gefragt, warum so viele Orte in Mittel- und Südeuropa offensichtlich als Folge einer systematischen Ansatzplanung menschlicher Ansiedlungen angelegt worden sind. Ich verweise nur auf das ober­rheinische Gitternetz, das wir in unserem Buch über das Geheimnis des Elsaß 22 dargestellt haben. Wir sind mit unseren Beobachtungen natürlich nicht die Ersten gewesen. Der bedeutendste Entdecker frühgeschichtlicher Liniennetze ist Xavier Guichard 23. Auf sein posthum in einer Mini-Auflage erschienenes Werk wurde in Frankreich ein Attentat verübt, bei dem ein Teil der Bibliothek in Flammen aufging. Wie weiland die Bibliothek in Alexandria. Sein Werk konnte aber gerettet werden.
Die aufgezeigte Ansatzplanung von Orten erhält ihren Sinn, wenn man sie im Sinne von Uwe Topper als systematische Wiederbevölkerungsmaßnahmen einordnet. Die Erde, jedenfalls in Europa, mußte neu besiedelt werden. Die Ansatzplanung, wie sie insbesondere Hermann Zschweigert herausgearbeitet hat, erfolgte auf der Grundlage verschiedener Kriterien, aber immer raumübergreifend. Die verschiedenen Systeme haben wir dargestellt 24. Ich halte es indessen im Gegensatz zu Topper für wenig wahrscheinlich, daß  diese Ansatzplanung erst ein Produkt der Renaissance ist. Plato 25 berichtet, daß terrestrische Katastrophen wie Kinderkrankheiten aufeinander folgten. Bei der Katastrophe, der die Kultur am Oberrhein zum Opfer fiel, dürfte es sich um ein früheres Ereignis als den „letzten großen Ruck“ handeln – sollte es diesen gegeben haben. Was der Erkenntnis von Uwe Topper keinen Abbruch tut, daß nach einem Kataklysmus stets eine zentral gelenkte Wiederbevölkerung des Landes erfolgte, wie wir sie aus der Forstwirtschaft kennen. Und daß es Kataklysmen sind, die für die Liniensysteme verantwortlich sind, mit deren Hilfe und auf deren Grundlage menschliche Siedlungen neu entstanden. Das gilt übrigens nur für geodätische Liniensysteme. Die Anlagen und Siedlungen auf den Sternenstraßen Europas haben andere Entstehungsursachen 26

3. Zu einigen Thesen der ZeitFälschung von Uwe Topper,
gegen die ich Bedenken anmelde

 

a. Kein Beleg des „letzten großen Rucks“ durch dokumentarische Quellen
Das Buch von Uwe Topper ist ein typisches Erzeugnis unserer Zeit. Der Verlag hat das Manuskript um etwa die Hälfte gekürzt. Dort, wo Topper vorsichtig fragend formuliert hat, hat der Verlag sich auf die Veröffentlichung der Ergebnisse beschränkt. So ist die Publikation wichtigen Materials unter den Tisch gefallen. Dieses Material könnte viel­leicht  Antwort geben auf viele der Fragen, die in dem Buch von Topper offen geblieben sind. Auf  eine hat bereits Gernot L. Geise 27 hingewiesen. Aber längst nicht auf alle.
Zuvörderst muss man sich fragen, warum der „Große Ruck“ von 1350 nirgends offen dokumentiert ist. Der Einschlag des Carolina-Meteoriten 28 fand seinen Niederschlag in zahlreichen Mythen der Menschheit verstreut über den gesamten Erdball.

Über den Einschlag des Phaéton in der Eidermündung –1223 berichten zahlreiche Quellen, unter anderem die Edda. Und im Falle des „letzten großen Rucks“ sollten sich die Menschen darauf beschränkt haben, in Bildern versteckte Hinweise zu geben und im übrigen den Schutt beiseite zu räumen, ohne das Ereignis irgendwie zu dokumentieren? Zumal ja doch auch nach Topper eine beträchtliche Zahl von Menschen die Katastrophe überlebt haben. Hier schuldet uns Uwe Topper eine Erklärung. 29

b. Keine durchgängigen baugeschichtlichen Nachweise
Auch wäre die Frage zu beantworten, warum so viele Kirchen jedenfalls in Deutschland anscheinend den „letzten großen Ruck“ relativ unbeschadet überstanden haben. Etwa die Liebfrauenkirche zu Wesel oder St. Kunibert oder St. Panthaleon zu Köln? Auch St. Maria im Kapitol wurde nie umgebaut; es wurden nur Kapellchen angebaut. 30

c. Kein Nachweis für die Bauten des Templerordens in Köln – pars pro toto einer Spekulation
Was Topper über die Tätigkeit des Templerordens schreibt, erscheint mir in höchstem Maße spekulativ. Ich beschränke mich darauf, auf die Verhältnisse in Köln hinzuweisen.

Völlig zu Recht stellt Topper heraus, daß achteckige Türme die bevorzugte Grundrißform von Stätten des Templerordens waren. Dann lassen sich Kirchen in Köln, und kei­nes­falls die von Topper angeführten, als Beweis für Templerbauten in Köln nicht anführen. St. Maria im Kapitol besitzt kein Oktagon. Diese Kirche besitzt weder Turm noch Vierung.

Gemeint sein kann auch nicht St. Aposteln. Nur der die Kuppel über dem östlichen Dreikonchen-Chor tragende Turm ist acht­eckig gestaltet und bildet mit diesen eine architektonische Einheit. Vorbild sind baugeschichtlich die nach byzantinischem Muster gestalteten drei Konchen des Ostteils von St. Maria im Kapitol. Dort ist das Längsschiff von den Konchen noch sichtbar umbaut. Einen zentralen Turm gibt es in St. Maria im Kapitol nicht, noch nicht einmal eine Vierung. In Köln ist nur ein einziger Turm von Konchen umbaut: der von St. Martin. Aber dieser Turm ist viereckig, nicht achteckig.

Alles spricht also gegen die Annahme, das „Oktagon“ von St. Aposteln sei eine Kultstätte der Tempelritter gewesen, die in „christlichen“ Zeiten umgebaut und erweitert worden wäre. Die achteckige Taufkapelle neben St. Gereon, die auf den Einfluss der Templer zurückgehen könnte, zieht Topper nicht in Betracht. Diese Taufkapelle, die einem Oktagon jedenfalls nachempfunden ist, haben die Chorherren von St. Gereon angeblich 1235 an das Dekagon des Hauptbaues angefügt. Ob hier Einflüsse der Templer eine Rolle gespielt haben, vermag ich nicht zu sagen. Lage und Größe der Taufkapelle wären stimmig. Die Templerkapellen jedenfalls in Frankreich befinden sich in der Regel neben den Bauwerken der (heute) christlichen Kirchen und sind sehr viel kleiner. Dieses Beispiel in Köln zeigt beispielhaft, wie Uwe Toppers Thesen zur Geschichte der Tempelritter insgesamt in hohem Maße spekulativ bleiben.

Aber wie gesagt, möglicherweise hat Topper für die meisten dieser Fragen Antworten parat, die dem Stift des verlegerischen Verkürzens zum Opfer gefallen sind. Deshalb hat die Öffentlichkeit einen Anspruch auf die Veröffentlichung des unter den Tisch gefallenen Teils der Thesen von Topper. 31

Die Verkürzung des Manuskripts von Topper in Sachen ZeitFälschung ist nur ein Beispielsfall. Die Chronologiekritik leidet nicht nur an der Sparsamkeit der Verlage. Es fehlt auch am Mut der etablierten Fachwissenschaft, dieses Thema einmal bereichsübergreifend anzugehen. Hans-Ulrich Niemitz hat den Vorschlag gemacht, zumindest einen Lehrstuhl in Deutschland damit zu betrauen, die Berechtigung der Chronologiekritik kritisch zu hinterfragen. Er hat – wen hat das gewundert – von seiten der zuständigen Kultusverwaltung nur ein Schulterzucken geerntet. Die Thesen von Topper zeigen erneut, wie wünschenswert es wäre, wenn es gelänge, sich diesem Thema auf fachwissenschaftlicher Grundlage disziplinübergreifend zu nähern. Damit könnte von Deutschland ein grundsätzlicher Beitrag zur Geschichtsforschung geleistet werden. Die leeren öffentlichen Kassen sind ein schlechtes Omen.

Anmerkungen

1)  Gert Meier, Die deutsche Frühzeit war ganz anders, Grabert Tübingen 1999, S. 19. f. (dieser Hinweis wurde von einigen meiner Kritikern nicht zur Kenntnis genommen) und S. 25 ff.
2)  Herbert Illig, Das Erfundene Mittelalter, Econ Düsseldorf und Münster 6. Auflage 1999
3)  Uwe Topper, Die „Große Aktion“, Grabert Tübingen 1998
4) Ernst W. Wies, Karl der Große – Kaiser und Heiliger, Bechtle München 1992
5)  Wolfram Zarnack, 300 Jahre europäischer Geschichte erfunden? In: Wilhelm Kammeier, Die Fälschung der deutschen Geschichte, 11. Aufl. 2000, Verlag für ganzheitliche  Forschung und Kultur Viöl, S. 347 ff.
6) Meier (Fn. 1) S. 527 ff.
7)  Arthur Drews, Die Christusmythe, Diederichs Jena 1910; ders., Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesus, Diederich Jena 1911
8) Wilhelm Kammeier, Die Fälschung der Geschichte des Christentums, Verlag für ganzheitliche  Forschung und Kultur Husum 1981
9)  Dazu Wolfram Zarnack, Annus, das Jahr, und Jus, Selbstverlag Göttingen, S. 97; ferner Fn. 5  S. 347 ff. 
10) Rudolf Augstein, Jesus Menschensohn, Hoffmann & Campe 1999
11) Walter Kasper, Jesus der Christos, Matthias-Grünewald-Verlag Mainz, 10. Auflage 1986, S. 5o.
12) Gert Meier-Hermann Zschweigert, Die Hochkultur der Megalithzeit, Grabert Tübingen 1997, S. 418; zu diesem Thema auch Herman Wirth, Was heißt Deutsch? Diederichs Jena 2. Aufl. 1936, S. 10, Fn. 3 unter Bezugnahme auf ein anscheinend nie erschienenes Buch „Das Rätsel der Großsteingräber Palästinas. Von JAU bis Jesus“; ders., Auf der Heilung Spur, unveröffentlichtes Manuskript 1962, S. 17 ff.; ders., Führer durch das Ur-Europa-Museum, Eccestan-Verlag  Marburg 1979, S. 33 ff.
13) Gert Meier, Wer war eigentlich Apoll, DGG 2000, Nr. 4, S 28 unter Bezugnahme auf die Veröffentlichungen von W. Zarnack
14) Arnold Wadler, Germanische Urzeit, Nachdruck Fourier Verlag Wiesbaden o.J.
15) So Wilhelm Kammeier, Dogmenchristentum und Geschichtsfälschung (1938), S. 15 ff.  und Die Gründung der Universalkirche, (1939), S. 9 ff., in: Die Wahrheit über die Geschichte des Spätmittelalters, Neudruck 1979, Verlag für ganzheitliche  Forschung und Kultur, Husum 
16) Uwe Topper, Hieronymus Bosch, - Die letzten Bekundungen der heidnischen Lichtreligion vor dem Ansturm des Kirchenchristentums in den Niederlanden,  inzwischen veröffentlicht in: „Kalendersprung“ (Tübigen 2006)
17) Gert Meier, Die Jahreslöwen von St. Gereon DGG 1991, Heft 2, 29; DGG; ders., Die vorgeschichtliche Ordnung in Zeit und Raum, DGG  2001, Nr. 4, S. 31; zu diesem Themenkreis auch Wolfram Zarnack, Rückschau des Arbeits- und Forschungskreises Walther Machalett 2003, S. 37 (Zusammenfassung)
18) Notre-Dame de Chartes, l’Enimig­me du Labyrinthe, 15. Jahrgang, März 1984, No. 58
19) Es handelt sich um die Labyrinthe von Auxere im Jahre 169o, von Sens im Jahre 1768, von Reims im Jahre 1778, von Arras im Jahre 1895 in Amiens 1825 Diese Labyrinth wurde allerdings im Jahre 1884 wieder hergestellt (Quelle: Fn. 17).
20) Heinz Kaminski, Sternenstraßen der Vorzeit – Von Stonehenge nach Atlantis, Bettendorf’sche Verlagsanstalt München-Essen, 1995, S. 85 ff.
21) Wolfram Zarnack (Fn. 5); ders., Das alteuropäische Heidentum als Mutter des Christentums, EFODON Dokumentation DO-41, Hohenpeißenberg 1999
22) Gert Meier-Uwe Topper-Hermann Zschweigert, Das Geheimnis des Elsaß, Grabert Tübingen 2003, S. 150
23) Xavier Guichard, Eleusis-Alesia, Paillart, Abbeville 1936
24) Zuletzt: Meier-Topper-Zschweigert (Fn. 21) S. 127 ff.
25) Plato: Kritias, Timaios; dazu Gert Meier, Die Atlantisberichte Homers und Platons –eine Quelle für die Erforschung der Megalithkultur und germanischer Frühkultur, in: Deutschland in Geschichte und Gegenwart 1997, Heft 2, S. 15.
26) Gert Meier, Die astronomischen Anlagen auf den Sternenstraßen – Himmelsbeobachtung zur Orientierungshilfe oder Vorwarnung vor Himmelskörpern? In: Ur-Europa-Jahrbuch 2004
27) Gernot Geise, Buchbesprechung SYNESIS Nr. 6/2003, S. 45
28) Dazu Gert Meier, Der Untergang Alt­europas, DGG 2003, Heft 1, S. 29  

Nachträge von Uwe Topper

(29) Im Abschnitt 13: Die Katastrophenerklärung gehe ich auf das Thema ein.
(30) Auf S. 222-223 bespreche ich dieses Problem.
(31)Zu den Kölner Kirchen: S. 76 – Dort erwähne ich nur ganz kurz die drei genannten Kirchen. In St. Maria im Kapitol sieht man noch ein Relief der Stifterin mit dem Kirchenbau in der Hand; eindeutig besteht diese ursprüngliche Kapitolkirche aus einem Turm, an den Konchen angebaut sind. Ähnliche Stifterabbilder mit den originalen Bauten in der Hand sieht man auch auf Reliefs und Gemälden in Frankreich, immer ist die Urkirche ein Turm.

Berichtigung: Der Begriff „letzter großer Ruck“ stammt nicht von Egon Friedell, (dieser sprach nur vom „großen Ruck“) sondern von Christoph Marx aus Basel. Dokumentation der damaligen Zerstörungen wurden durch Marx seit zwanzig Jahren gesammelt und publiziert.

murex
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