James und die Jahrhunderte im Dunkel

Rezension des Buchs von Peter James (1991): "Centuries of Darkness" (in Zusammenarbeit mit I. J. Thorpe, Nikos Kokkinos, Robert Morkot und John Frankish. Vorwort von Colin Renfrew. Verlag Pimlico, London)

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Berlin · 2009  Uwe Topper topper

Ohne Erwähnung der deutschen oder russischen Gruppen, die am selben Thema arbeiten und mit nur einem Verweis auf Velikovsky, der als "extremer Katastrophist" ("disastrously extreme") und vom archäologischen Standpunkt aus als unwissenschaftlich (S. XXI) charakterisiert wird, hat diese Koproduktion sicherlich einige Grundfesten ins Wanken gebracht und kann nicht einfach mit einem Federstrich länger beiseite gelegt werden.

Es scheint mir sogar, dass Heinsohn, Illig, Peiser et al. dieser englischen Gruppe einiges zu verdanken haben, auch wenn zustimmende Hinweise auf deren Werk sich in ihren Schriften nicht finden (oder habe ich einen Artikel verpaßt?)

Interessanterweise verwenden beide Gruppen recht ähnliche Bezeichnungen, wie "ghost-pieces", die dazu dienen, fehlende Zeiten aufzufüllen (XXI) oder "ghost centuries" (S.141), die sich mit Niemitz's "Phantom-Jahren" decken; und sie verwenden auch ähnliche Methoden, wie die, Friedhofsfunde von Siedlungsfunden zu unterscheiden oder sie anders und neu zu ordnen.

Das Hauptziel dieses erstaunlichen Buches ist es, die 300-jährige Lücke zwischen der Späten Bronzezeit und dem Beginn der historischen Zeit zu überbrücken (also die Zeit von 1175 bis 850 v. Chr.; S. 73). Die Autoren suchen nach Widersprüchen bei zeitgenössischen Forschern, sie beschäftigen sich mit Problemen, die bei anderen ungelöst blieben und wurden fündig mit wunderlichen oder verdächtigen Beispielen:

Elfenbeinerne Kunstobjekte schauen fast gleich aus an beiden Enden der Lücke, ohne dass es eine Traditionslinie gäbe, die sie mit einander verbindet. Die üblichen Erklärungen - Erbschaftsgut oder Zweitbestattungen (inklusive Schatz- oder Hortfund) werden kritisch auf den Prüfstand gestellt und eine nach der anderen zurückgewiesen.

Eine andere, oft missbräuchlich verwendete Theorie, um die zeitliche Lücke zu überbrücken, ist die Annahme, man habe in der fundlosen Zeit leicht vergängliche Materialien verwendet. Statt Elfenbein oder Metall waren es eben nur Textilien oder Holzobjekte, so dass die Tradition nicht gebrochen, sondern lediglich ihre Überbleibsel heute nicht mehr gefunden werden können. (Übrigens eine ähnliche Argumentation wie beim europäischen Mittelalters, wo Holzbauten die steinernen Gebäude ersetzt haben sollen).

Schließlich wurde oft eine weitere Lösung für das Kontinuitätsproblem vorgebracht: Die Verwendung traditioneller Stile und Formen in der Keramik und Vasen-Malerei, mit ihren Erinnerungen an heroische und mythische Zeiten, ein Argument, das ausreichend legitim erscheint. Doch bleibt dann immer noch das Problem, wie diese archaischen Formen übertragen wurden oder wie sie über einige Jahrhunderte einen "Froschsprung" hinbekamen ("leapfrogged" (S. 78)). Mit anderen Worten: der "Zeitensprung", wie er ungewollt von der herrschenden Lehre beschworen wird, wird bei James und seinen Mitarbeitern gut dargestellt.

Bei seiner Schilderung des Entwicklungsprozesses unserer modernen Chronologie kritisiert James sehr oft das auf reinen Vermutungen basierende Vorgehen französischer, britischer und skandinavischer Forscher, manchmal mit einem Schuß Humor, zuweilen auch ironisch. Nur wenn er auf den berühmten Archäologen Kossinna zu sprechen kommt, wandelt sich seine Sprache in puren Hass (S. 20-21). Er bringt Kossinna indirekt mit der Shoa in Verbindung, wobei der Leser im Unklaren darüber gelassen wird, ob sich James dabei auf andere Kollegen bezieht oder auf Basis seines persönlichen Werdegangs urteilt. Sein Verdikt mutet seltsam an in einem Buch, das sich mit einer wissenschaftlichen Autorität beschäftigt, die seit zwei Generationen tot ist.

Der Autor zieht eine klare Trennungslinie zwischen westlichen Archäologen und (meist nahöstlichen) biblischen Archäologen, weil ihre Datierungsmethoden sehr unterschiedlich sind. So beziehen letztere ihr Zeitgerüst direkt aus der Bibel und pressen ihre Funde in dieses nur literarisch verbürgteSchema, was oft zu Einordnungen ihrer Funde führt, die ein Jahrhundert oder zwei älter sind als die ihrer wissenschaftlichen Gegner.

Machen einige Jahrhunderte wirklich etwa aus, die da ihr Leben lang hin und hergeschoben werden von einer kleinen Schar Leute? In der Tat, sie machen etwas aus. Da entbrennen sogar literarische Schlachten zwischen führenden Autoritäten um die Frage, ob man eine Dekade dazu- oder wegnehmen darf zwischen zwei (imaginären oder literarischen) Helden, Pharaonen oder Großkönigen der Alten Geschichte. Auf der anderen Seite behandelt James die Jahrhunderte auch sehr großzügig, wenn es um die Entfaltung seiner eigenen Theorie geht: Er berechnet (S. 119) eine Lücke von 200 - 300 Jahren zwischen dem doppelten Auftreten der Hethiter, aber laut der Zahlen, die er im selben Abschnitt anführt, müssten es 400 - 500 Jahre sein. Weil er nicht so extrem wie Velikovsky sein will und eher auf Ausgleich mit anderen Fachkollegen aus ist, spielt er die tatsächliche Lücke (in diesem Fall) herunter und verringert die Abgrenzungen auf ein akzeptables Maß. Akzeptabel für wen? Gelten die einfachen mathematischen Regeln nicht mehr? Da hat offenbar ein psychologischer Filter zugeschlagen.

Das Hauptanliegen dieses Buches ist es also, die wissenschaftliche Welt aufzurütteln, verbunden mit einer Kampfansage an alte (chronologische) Modelle: "Es ist ein schlagender Beweis für die Irrungen und Wirrungen der Chronologie, wenn zwei hervorragende Wissenschaftler den selben Zeitraum [es geht um die Hethiter] einmal als "dunkles Zeitalter", beziehungsweise als "Goldene Ära" beschreiben können. Das Problem ist heute so hoffnungslos verfahren wie es zu Zeiten war von ..." (S. 123). Da tritt jemand an mit neuem Atem und frischer Energie. Aber sieht er wirklich den Drachen hinter den Bäumen lauern? Ich bezweifle das sehr.

Sicher, chronologische Probleme lassen sich "an jeder Ecke" (S. 137) finden, wenn man sich nur kritisch umschaut. Gordius, der König von Phrygien (spätes 8. Jahrhundert v. Chr.) hinterließ den komplizierten Knoten, den Alexander "Jahrhunderte später" mit seinem Schwert auseinanderschlug. James sagt nicht "fast vier Jahrhunderte später", denn das würde seine eh schon ziemlich aufgeladene Theorie um einen weiteren Anachronismus bereichern: Wie kann ein Knoten aus Pflanzenfasern so lange halten, ohne in Staub zu zerfallen? Entweder waren die Griechen, die diese Geschichte überlieferten und lasen einfach naiv gutgläubig, oder sie hatten eine andere Zeitstellung im Kopf.

Dieses Buch hat, nachdem es den Staub aufgewirbelt hat, der die von Scaliger, Newton und anderen frommen Menschen ererbte akademische Chronologie bedeckte, keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen soll. Die Radiocarbon-Datierung wird oft angeführt, behandelt wird sie im Anhang I und einer langen Fußnote, die sich auf Ägypten bezieht. Obwohl dem Autor an einigen Punkten die Widersprüche auffallen, die diese Datierungsmethode hervorruft, entschuldigt er ihre Fehler und traut sich nicht, den Finger in die offene Wunde zu legen, wie das etwa Blöss und Niemitz mit ihrem Buch "Der C14-Crash" (Berlin 1997) getan haben. James hat alle Möglichkeiten aufgedeckt und erkannt, aber nicht wirklich behandelt. Er traute sich nicht, das wahrzunehmen, was er sah.

Das ist der Grund, warum er und seine Kollegen den lauernden Drachen im Wald nicht sehen konnten. Benny Peiser (1990 in VFG und 1993 Dissertation an der Uni Frankfurt am Main) meinte dazu ohne zu zögern, dass nur ein katastrophischer Impakt um -550 eine Erklärung liefern könnte für all das chaotische Durcheinander, das uns seit den Zeiten der Renaissance präsentiert wird. Ich muss gestehen, ich weiss nicht, wie eng all diese Leute zusammenarbeiteten oder sich gegenseitig ablehnten. Es wäre lohnend, dies herauszufinden, angesichts der Tatsache, dass das letzte Jahrzehnt so viele begründete Attacken auf die herrschende Chronologie vorgetragen hat, denen man sich auf alle Fälle anschliessen sollte.

(Übersetzt aus dem Englischen von DocM 2005)

 

Kommentare

Peter Winzeler (Biel)
Eine schlagende Evidenz für einen Impakt um -550 (Benny Peiser) ergibt sich aus den bekannten Aufzeichnungen des Hethiterfeldherrn Mursilis (Mar Schajil) im Arzawakrieg, als dessen Heer in Kilikien "einen glänzenden Meteor" sah, "der am Himmel westwärts fuhr" (F.Cornelius, Gesch d.Hethiter 178). In Ephesus (Apascha) hatte den König Uchchazittis von Arzawa noch im selben Jahr "der Schlag getroffen, so dass er teilweise gelähmt war. Mursilis meinte, jener Meteor sei es gewesen, der ihn getroffen habe" (178f). "Der kranke König und seine Söhne wichen auf das Meer (...) aus. Die Einwohner der Stadt, die nicht auf den Schiffen Platz fanden, flüchteten sich auf das steile Gebirge" (180) -  was weniger auf hethitische Heeresstärke (Cornelius), als auf eine Flutwelle schliessen lässt.
Der Bericht entspricht dem zweiten Buch Könige Kap. 1 und 3, wo König Achasja in Abba-Samaria (Apascha) vom Schlag getroffen wird - wie Elia profezeite -  und sein Nachfolger Elischa im Verlauf des Meschakrieges eine Flutwelle in der Wüste Moabs ankündigt: "3:16 So spricht der HERR: Grabt in diesem Tal Zisterne neben Zisterne! 17 Denn so spricht der HERR: Ihr werdet keinen Wind sehen, und ihr werdet keinen Regen sehen, und dennoch wird sich jenes Tal mit Wasser füllen... 20 Am Morgen aber, zu der Zeit, da man das Speiseopfer darbringt, sieh, da kam plötzlich Wasser [d.h. eine Flut] von Edom her, und das Land füllte sich mit Wasser. 22 ...und als die Sonne über dem Wasser aufgegangen war, erschien Moab das Wasser von ferne rot wie Blut".
Im selben Kontext wird von feurigen Rossen des Himmelswagens (der "Himmelfahrt" Elias) und einer "totalen Sonnenfinsternis"  (Cornelius  193) berichtet, auf die Peter James anscheinend keinen Bezug nimmt (er datiert Murschil etwa in die biblische Zeit des Königs Saul um 1050). Die Lehrbuchdaten des Arzawakriegs (pseudoastronomisch um - 1345) und des  Meschakrieges (nach Joram und Salmanassar um -850 datiert) müssen in die Lyder-, Skythen- und Mederzeit gebracht werden, s. Näheres bei Winzeler, Davids Gaditer Ittai, vgl. Gunnar Heinsohn (zur Stratigraphie Jerusalems). 

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