Almanach, Galilei und der Präzessionssprung
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Berlin · 2007  Uwe Topper topper

Der Almanach kam in Deutschland erst im 15. Jh. auf, gefördert durch die Drucktechnik. Georg Peurbachs Jahrbuch (um 1460) in Wien gilt als erster deutscher Almanach. Handgeschriebene Almanache sind eher zum eigenen Gebrauch hergestellt worden. Älter als Peurbachs Almanach sind mehrere arabische Handschriften mit vergleichbaren Angaben über Sternaufgänge, Witterung und mit vielen Hinweisen zur Arbeit in Landwirtschaft und Seefahrt. Sie basieren auf einem altarabischen – vorislamischen – Astronomiesystem, dass im Jahreslauf 28 Sterne als ‚Nau’ hervorhebt, jedem eine Zeitspanne von 13 Tagen zuordnet und jedem dieser Jahresabschnitte eine bestimmte Witterung zuschreibt. Der Plural Al-Anwa’ wird für das System benutzt. Dabei gilt während 13 Tagen ein bestimmter Stern als Merkstern und ist jeweils mit einem anderen gekoppelt, der als ‚Beobachter’ (Raqib) bezeichnet wird und der gerade dann aufgeht, wenn der andere untergeht. Es gab Sprüche zu jedem Nau, die sich auf Regen und Wind bezogen, also etwa wie ein Bauernkalender bei uns.

Von so einem Almanach möchte man erwarten, daß die Angaben über Frühlingsbeginn oder Dauer einer Jahreszeit astronomisch richtig sind, die Tagesangaben müssen einigermaßen stimmen, wenn der Almanach nicht wertlos sein soll.

Der Almanach des Ibn ‘Asim aus Córdoba, (Kitab alAnwa‘ wa alAzmina), etwa „um das Jahr 1000 u.Ztr.“ verfaßt, wurde von Miquel Forcada Nogués minutiös untersucht und in arabisch wie spanisch vorbildlich herausgegeben (Barcelona 1993), so daß man sich einen Eindruck von dieser Art Literatur machen kann. Das Manuskript stammt aus Istanbul und wurde laut dem Text auf der ersten Seite im Jahre 497 Hedschra (entspr. 1104 AD) kopiert. Obgleich nicht völlig eindeutig ist, wer Autor und Kopist waren, legt Forcada, der einen Faksimiledruck (F. Sezgin, Frankfurt/M 1985) verwendet, nahe, daß ein aus einer Chronik knapp bekannter Mann der berühmten Familie Ibn ‘Asim, Abd Allah ben Husayn, genannt Ibn al-Gurbali, den Text zusammengestellt hat, wobei dieser seine Quellen fast immer nennt. Es handelt sich um das einzige Manuskript dieses Buches. Die bunte Mischung an Informationen, die darin enthalten ist, hat auch literarischen Unterhaltungswert (genau wie unsere heutigen Almanache).

Forcada zufolge soll der Almanach des Ibn ‘Asim mehrere Zwecke erfüllen: Er soll eigenständige Gedanken bieten, sodann die ursprünglichen (heidnischen) Himmels- und Wettertraditionen der vorislamischen Araber weitergeben, und er soll zu gebrauchen sein für einfache Leute in Andalusien, die Wettervorhersagen und Kalenderstütze benötigen. Neben der eindeutig ideellen Ausrichtung ist also auch der Gebrauchswert des Buches betont worden. Dabei ist die heidnische Überlieferung und deren Vermischung mit der klassisch hellenistischen zuweilen verwirrend.

Ansonsten ist der Kalender ein Sammelsurium von Angaben, die von unterschiedlichem Nutzen sind. Als Beispiel erwähne ich einen kurzen Ausschnitt aus dem Monat Oktober. Nach ausführlichen Notizen über die Sternbilder, die Mondhäuser und das Wetter folgen Sätze wie diese: „Man erwähnt, daß am zweiten Tag dieses Monats der Nil in Ägypten wieder abschwillt. Im selben Monat fängt man in Trujillo (Südwestspanien) und Cádiz an zu säen, und an seinem zwanzigsten Tag fangen auch diejenigen der Umgebung von Córdoba, die früh aufstehen, mit dem Säen an. Am elften Tag ist das Meer wild und die Schiffe fahren nicht hinaus. Die Geier und die Schwalben ziehen sich in ihre Höhlen zurück und die Ameisen verstecken sich. In diesem Monat schätzt man den Ertrag der Oliven ab und beginnt mit der Ernte, und man stellt fest, daß es kalt wird. ...“

Der vorgebliche Gebrauchswert dieser Sätze ist meines Erachtens gleich Null. Wenn der Kalender irgendeinen Sinn erfüllte, dann einen astronomischen. Denn auch als Festkalender ist er zu karg: Es wird das ägyptische Neujahrsfest (mit persischem Namen, Nauroz) angezeigt, fälschlicherweise am 20. statt am 29. August (Schreibfehler?), und das Fest von Johannes dem Täufer, dem Sohn des Zacharias, „Friede sei mit ihnen“ (Vater und Sohn werden vor allem in Damaskus und Aleppo in Syrien verehrt) am 24. Juni, also korrekt. Von den vielen Heiligen, die zum Beispiel der Kalender von Córdoba des ‘Arib ben Sa‘id aufführt, kein Wort.

Dieser Kalender von Córdoba wird von Ibn ‘Asim nirgends erwähnt, obgleich einige Informationen mit diesem wörtlich übereinstimmen. Wir dürfen annehmen, daß dieses etwa gleichzeitig datierte Werk dieselbe Quelle verwendete. (Den durch Dozy bekannt gemachten katholischen Kalender von Córdoba halte ich für eine späte Herstellung der spanischen Kirche; siehe meinen Vortrag 1998.) Die vorislamischen Araber teilten das Jahr in zwei Hälften: Regenzeit (Winter) und Hitze (Sommer). So steht es noch im Koran (Sure 106), und so wird es von vielen Astronomen wiederholt. Die Almanache sind jedoch differenzierter, sie teilen die beiden Jahreshälften noch einmal auf, so daß vier Jahreszeiten entstehen, Frühling und Herbst kommen dazu. Die Anfänge der jeweiligen Viertel liegen nicht immer genau auf den entsprechenden Monatsanfängen, auch nicht immer korrekt auf den Sonnwenden und Taggleichen, aber daran sind so viele Faktoren schuld, daß man grosso modo sagen kann: ihr Kalender stimmt.

Als Beispiel bringt Forcada (S. 130) diese Aufstellung:

Für die Länge der Jahrezeiten gibt er an:

Die Zeitangaben erfolgen natürlich auf- oder abgerundet in ganzen Tagen und stimmen praktisch genau; heute dauert der Frühling nur noch 93 Tage und der Herbst fast 90, aber vor mehreren Jahrhunderten war der Unterschied größer, da die Wintersonnenwende noch näher am Perihel lag.

Bei Beschreibung der einzelnen Monate im selben Almanach wird stets der 22. eines Monats für die Kardinalpunkte gewählt, vermutlich aus Gründen der Vereinfachung für den Gebrauch; der 22. März, Eintritt der Sonne in Aries (Widder), gilt als Tag der Weltschöpfung (wie auch im Kalender von Córdoba), dennoch ist der 1. Januar in allen Fällen der Jahresbeginn. Auch als Ostergrenze wird der Tag vor dem 22. März genannt. Das sieht nun alles recht christlich aus, sogar katholisch (die andalusischen Christen, „Mozarabes“, feierten dagegen als Orthodoxe den 25. 3. als Tag der Weltschöpfung), die Vermengung mit den heidnisch-arabischen Vorstellungen und Überlieferungen mutet dagegen sehr künstlich an.

Kehren wir zu obiger Aufstellung zurück, die zwar auch grob vereinfacht, aber doch etwas astronomischer wirkt: Wie kommt der Kalendermacher zu diesen Daten, die er von den „Komputisten“ übernommen haben soll?

Der Kommentator Forcada hat sich ganz modern über Ephemeridenberechnungen dem Problem genähert und festgestellt, daß diese Daten „real“ zum Jahr 241 AD passen würden. Das entlockt ihm leider keinen Aufschrei, müßte aber bei jedem Leser einen auslösen, denn der „originale“ Text soll ja 750 Jahre jünger sein und die benützte Abschrift noch einmal hundert Jahre jünger.

Nach gängiger Geschichtsschreibung war in Andalusien vor tausend Jahren der julianische Kalender in Gebrauch. Das erstaunliche ist nun: er hatte in diesem Almanach dieselbe Eichung wie der gregorianische Kalender nach 1582: er hielt die Kardinalpunkte an fast denselben Tagen (wie wir noch heute). Theoretisch hätten die Kardinal-Daten damals um sechs Tage verschoben sein müssen wegen der ungenauen Schaltregel des Julianischen Kalenders (der Unterschied summierte sich bis 1582 auf volle zehn Tage, eben die, die Gregor übersprang, um den astronomischen Frühlingsbeginn auf den 21. März zu fixieren, wo er schon zum Konzil von Nicäa gelegen haben soll). Nach herkömmlicher Ansicht müßte dieser Kardinalpunkt im 11. Jh. um den 15. März herum gelegen haben; im 16 Jh. lag er auf dem 11. März; im heute noch in Marokko unter der berberischen Bevölkerung verwendeten julianischen Kalender liegt der astronomische Frühlingsanfang mittlerweile auf dem 8. März.

Wenn die Andalusier diesen Kalender, der im 3. Jh. stimmen sollte, im 11. Jh. weiterverwendeten mit den alten Daten, dann war der Almanach völlig unbrauchbar. Hier liegt eine unmögliche Konstruktion vor, zumal es zu jener Zeit sehr fähige Astronomen gegeben haben soll, die dergleichen angeprangert hätten. Der Kalender kann nur im 16. Jh. (oder später) Sinn gemacht haben, jedenfalls nach der gregorianischen Reform, bestenfalls noch in Vorbereitung dieser Reform.

Wann immer Ibn ‘Asim geschrieben haben mag, er hat den gregorianischen Kalender bzw. seine Eichung im Blick gehabt. Obwohl die Idee nicht erst durch Gregor verbreitet worden sein muß – auch die Araber oder Perser (oder Hindus) könnten Vorarbeit geleistet haben: wenn wir uns die Texte der Kalenderkommission Gregors anschauen, wird uns klar, daß die Angaben auf ältere und bessere Astronomie zurückgehen, die den Italienern damals neu waren (z.B. auf die Tafeln von Ulugh Bey) – so ist doch eindeutig, daß die Entscheidung, die Kardinaldaten ausgerechnet auf den 21. des Monats zu legen, erst im Umfeld von Gregor entstanden sein kann, da es sich um eine politische Entscheidung handelte, die mit der „Situation zur Zeit von Nicäa“ begründet wurde; eine astronomische Korrektur ohne diesen Hintergrund hätte ebensogut die Daten auf den damals richtigen Tag (11.) legen können, auf den traditionall gefeierten 25. (bis heute Weihnacht und Johanni) oder auf den viel logischeren 1. eines Monats.

Josua

Noch ein anderer hochinteressanter Punkt ist in diesem Almanach vermerkt, der sich auf den von uns postulierten Präzessionssprung (Topper & Topper, 2005) beziehen könnte: Da ist für den 24. Juni vom Fest der Ansara die Rede, dem Geburtstag von Johannes dem Täufer, Sohn des Zacharias; „und es war an diesem Tage, daß die Sonne stillstand über Josua, dem Sohn Nuns.“

Ein Präzessionssprung, wie von uns beschrieben (d.h. ein Vorrücken der Achsenstellung der Erde gegenüber dem Sternhintergrund, genau entsprechend der gewöhnlichen Präzession, aber ruckartig innerhalb kürzester Zeit mehrere Grad überstreichend) würde einhergehen mit einer Verlängerung des Tages, an dem der Sprung stattfindet (obwohl die durchschnittliche Tageslänge vorher und nachher gleich bleibt). Der „Stillstand der Sonne“, den Josua beschreibt, könnte eine Restüberlieferung sein.

Es wäre sogar denkbar, daß nach Sonnenuntergang die Sonne wieder im Westen aufging, je nachdem an welchem Ort der Vorgang beobachtet wurde. Die verschiedenen sufischen Berichte (Topper 1995 u. 1998), die von einem Rückwärtslauf der Sonne vom Westhorizont bis zur Himmelsmitte sprechen, sowie die antiken Erwähnungen dieser Vorgänge (Velikovsky 1950) machen damit Sinn. Und wenn dieser „Ruck“ erst vor etwa 740 Jahren („1260 AD“) geschah, dann ist es möglich, daß man sich zu Gregors Zeit noch an das Datum erinnerte, denn der Kalender war unserer Meinung nach in dieser Form schon in Gebrauch.

Eigenartigerweise steht dieser Satz über den 24. Juni ganz ohne weiteren Zusammenhang, und auch im übrigen Text der zwölf Monate findet sich kein weiterer Hinweis auf christliche (oder islamische oder jüdische) Feste. Im sonst häufig die Bibel zitierenden Koran konmmt das Josua-Ereignis (im alttestamentarischen Buch Josua 10, 11-14) nicht vor, und auch in anderen tonangebenden Texten (wie Schedels Weltchronik, Alfonsos Chroniken usw.) sucht man es vergeblich Aber es paßt sehr gut zum 16. Jh, denn in dieser Zeit hat das Josua-Ereignis ganz erheblich die Gemüter bewegt: an Allerheiligen des Jahres 1612 (ich folge González 2006, S. 20) wurde der gut katholische Galileo Galilei erstmals wegen Ketzerei gegen die katholische Kirche von einem Prediger öffentlich angegriffen, nämlich durch den Dominikaner Niccolo Lorini, der ihn auch (am 7. 2. 1615) bei der Inquisition verklagte. Sein Ordensbruder Tommaso Caccini schlug am 20. 12. 1614 in Florenz in dieselbe Kerbe mit dem Argument, daß Gott im Josuabericht die Sonne anhielt, nicht die Erde. Dann aber muß sich – der Bibel nach – die Sonne bewegen, und Galileis (kopernikanische) Modell mußte ketzerisch sein.

Galilei verteidigte sich in einem Brief an einen hohen Würdenträger, Benedetto Castelli (am 21. Dez. 1613), indem er das gegen ihn verwendete Argument der Kirche, das Josua-Ereignis, analysierte. Es scheint mir kennzeichnend, daß die Dominikaner gerade diese vage Überlieferung zitierten und als Beweis gegen Kopernikus (veröffentlicht 1543) benützten, wie es vorher schon Luther getan hatte, der „in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts“ gegen Kopernikus wetterte: „Aber wie die Heilige Schrift bezeugt, befahl Josua der Sonne stillzustehen, und nicht der Erde!" (Velikovsky 1987, S. 63, ohne Quellenangabe).

Galilei analysiert die Josua-Überlieferung astronomisch: Die (optische) Bewegung der Sonne im Tageslauf geht von Ost nach West, die im Jahreslauf umgekehrt (gegenüber dem Sternenhintergrund), deshalb ist der Sterntag (berechnet als der Durchgang desselben Sterns durch seinen Kulminationspunkt) vier Minuten länger als der Sonnentag, legt er dar (der heutige Wert beträgt 3’ 56’’). Wenn nun die Sonne angehalten wird, dann steht das ganze System still, und damit verkürzt sich dieser Sterntag um besagte 4 Minuten, statt sich zu verlängern, wie im Bibeltext gefordert. Galilei argumentiert nun, daß ein Vorgang, wie er im Buch Josua beschrieben ist, wörtlich verstanden das geozentrische Weltbild ad absurdum führt und das heliozentrische als bessere Himmelsbeschreibung erzwingt.

In seinem Brief an Christine von Lothringen, Großherzogin der Toskana, (1615) geht Galilei noch ausführlicher auf das Josua-Argument ein und münzt es zu seinen Gunsten um. Zunächst einmal sagt er, daß das Ereignis „etwa zur Sommersonnenwende“ stattfand, und das ist erstaunlich nahe bei der Aussage im oben besprochenen Almanach: an Johanni (24. Juni). Ausnahmsweise hat Galilei hier keine Quellenangabe gemacht, auch keine Ableitung aus dem Bibeltext. Er scheint eine allgemein bekannte Aussage zu wiederholen. Im Übrigen bezieht er sich nämlich genau auf den Wortlaut des Josua-Textes und schließt aus dem Vers, wo es heißt, die Sonne stand mitten im Himmel still, daß dies nur bedeuten könne, daß die Sonne der Mittelpunkt des Weltalls sei, denn am Mittag wird Josua noch nicht gebeten haben, daß der Tag verlängert werden solle; das wäre erst gegen Abend nötig gewesen, wie auch andere Theologen seinerzeit feststellten (z.B. der portugiesische Jesuit Magalhaes).

Offenbar machte man tatsächlich am Josua-Ereignis ein ganzes Weltbild fest. Daher ist die Erwähnung im Almanach des Ibn ‘Asim so interessant: möglicherweise hat der Autor, der diesen Almanach zusammenstellte, diesen Satz absichtlich eingeschleust, um einen wichtigen Punkt in der damaligen Diskussion als „arabische Autorität“ verpackt seinen Gegnern aufzutischen. Möglicherweise war der kurze Bericht des Ereignisses im alttestamentarischen Buch Josua – der dort als Zitat aus einem anderen Buch gekennzeichnet ist – erst sehr jung eingebracht und eine „Absicherung“ durch den Almanach war erwünscht. Eine andere Frage ist, ob dieses Manuskript eine direkte Fälschung ist oder ob es eventuell Ende des 16. Jh in Spanien verfaßt und nur falsch eingeordnet wurde. Bis Anfang des 17 Jh. gab es eine große arabisch sprechende Bevölkerung in Südspanien, für die der Kalender – möglicherweise gerade wegen der eben erfolgten gregorianischen Reform gedacht gewesen sein konnte (der Fall Granadas 1492 zog nicht sogleich die Verbannung der Moslems nach sich, diese erfolgte erst per Dekret 1609-1614).

Canopus

Unwahrscheinlich ist jedenfalls, was Forcada als gegeben hinnimmt: daß im 11 Jh. ein arabischer Autor siebenhundert Jahre alte griechische Texte mit arabischen verquickte und ohne Überprüfung der astronomischen Daten unters Volk brachte. Der Almanach zeigt nämlich ein offenkundiges Interesse an Sternbeobachtungen: Obwohl die ptolemäische Planetentheorie nirgends angedeutet wird, kommt die Rückwärtsbewegung der Planeten vor; der Präzessionswert wird mit ein Grad für hundert Jahre benannt (also griechisch, aber nicht arabisch), und zur Sichtbarkeit des für die Araber höchstwichtigen Sterns Canopus werden viele Hinweise mitgeteilt, denn ähnlich wie Sirius den Ägyptern war Canopus den Arabern, die ihn Suhail nannten, das einzigartige Merkmal für die Festlegung der Jahreszeiten. Canopus, auf 52º 41’ südlicher Breite, müßte von Málaga aus gesehen (auf 36º 40’ nördl. Breite) einige Tage lang etwas über ein Grad über dem Horizont stehen, an höheren Bergen, von denen aus die Beobachtung leichter sein müßte, fehlt es nicht in der Gegend. Ibn ‘Asim hingegen sagt deutlich, daß man den Stern in Andalusien nicht sehen kann, weil er zu weit südlich liegt, und bringt nur Nachrichten aus dem Orient: Im August geht (im Hidschaz) der südliche Suhayl (Canopus) auf, und man streitet sich, ob er es ist, denn zu knapp über dem Horizont kann man es aus Mangel an anderen Sternen in seiner Nähe nicht gleich feststellen.

Forcada (S. 83 f sowie 182 f) zitiert eine Anekdote aus einer paralellen Quelle, dem Almanach des Al-Umawi von Córdoba, der rund zweihundert Jahre später viele Sätze nach Ibn ‘Asim wiederholt, wobei Forcada annimmt, diese Anekdote könnte zum originalen Text des Ibn ‘Asim gehört haben und wurde nur in der Abschrift weggelassen. Der Gebetsstundenkenner (also ein astronomisch Gebildeter) von Fuengirola (bei Málaga an der Südküste Spaniens) behauptete, er sehe Canopus jährlich auf- und untergehen. Als der Kalif Al-Hakam II in Córdoba davon hörte, schickte er seinen Hofastronomen nach Fuengirola, aber dieser kehrte mit negativer Antwort zurück. Der Gebetsstundenkenner von Fuengirola behauptete nämlich, daß der strittige Stern schon Mitte September aufginge, im Dezember seine höchste Stelle erreiche und Mitte März erst unsichtbar werde, etwa so, wie wir es von Orion beschreiben würden. Das kann nicht sein, denn Canopus kann – wenn die Atmosphäre außergewöhnlich rein ist – nur in den Tagen seiner höchsten Stellung, also um die Wintersonnenwende herum, von Kastell der Stadt aus etwa drei Mondbreiten hoch über den Wellen gesehen werden, nicht ein halbes Jahr lang. Die negative Antwort des Hofastronomen an seinen Kalifen war demnach korrekt, während die mit Hilfe eines heutigen Astronomen und eines modernen Programms erstellte Auskunft Forcadas, der die Aussage des Gebetsrufers für richtig hält, falsch ist.

Das Kastell von Fuengirola heißt noch heute Sohail, wie der arabische Name des Stern Canopus; allerdings ist es gut möglich, daß die Verknüpfung des Ortes mit der Beobachtung des Sterns nachträglich erfolgte, denn Suhail ist im Arabischen als männlicher Vorname gebräuchlich und die Burg könnte nach ihrem Erbauer benannt worden sein. Wahrscheinlich ist der Name aber noch älter und ist erst später an die arabische Form angeglichen worden: schon Hekataios von Milet, Mela, Ptolomäus und Plinius erwähnen einen Ort Syalis und eine römische Inschrift enthält das Wort ‚Suelitana’.

Der Ursprung des Namens Canopus ist auch umstritten: offziell trug der Steuermann von Menelaos Schiff Argos den schönen Namen Kanopus, und als dieser an einem Schlangenbiß starb, wurde er an der Küste Ägyptens begraben, wo dann die Stadt Canopus oder Kanobus entstand, deren Name anderer Ansicht nach jedoch vom Ägyptischen Kahi-Nub (= goldener Boden) abgeleitet wird. Vielleicht ist die Stadt auch nach dem Stern benannt, der in Horizontnähe (wie alle hellen Sterne) rotgolden scheint. Eine bisher nicht beachtete Möglichkeit ist, daß Canopus die lateinische Umschreibung des arabischen Wortes für Süden ist: Dschenub wird in Ägypten Genub ausgesprochen.

Zur Etymologie wäre noch anzumerken, daß der Ursprung des Wortes Almanach unbekannt ist: das Wort kommt vermutlich nicht aus dem Arabischen, denn dort heißen die Almanache Al-Anwa‘ (Plural von Nau). Die Ableitung von (arab.) al-Manha = Geschenk, besonders Neujahrsgeschenk (Meyers Lexikon 4°), ist wohl falsch. Das Wörterbuch der spanischen Königlichen Akademie leitet (span.) Almanaque vom arabischen Al-Manaj (sprich al-Manach) ab und dies vom lateinischen Manachus, Monatskreis. Im Arabischen gehört zum Wort Manach die Wurzel NaCHa, „ein Kamel zum Niederknien bringen“, „sich an einem Ort aufhalten“, Munach ist der Ort, wo Kamele sich hinknien, aber außerdem „Beschaffenheit eines Ortes bezüglich der Ausgeglichenheit seiner Witterung und ob diese günstig für die Gesundheit ist“, man spricht von guter oder schlechter Munach (heute etwa Ortsklima). Es ist allerdings fraglich ob das Wort daher kommt. Eher überzeugt die lateinische Wurzel manachus, es soll auch Sonnenuhr bedeuten. Vielleicht hängt es aber mit Monat, Mond, zusammen. Richard Rowlands, eigentlich Richard Verstegen, soll das Wort um 1600 in Antwerpen aufgebracht haben, es wäre altniederdeutsch: Al-Mon-aght sei ein Stock der Niedersachsen, auf dem Feste und Monde eingraviert seien. In Wirklichkeit weiß man nur eins: daß das Wort erst im Latein des Mittelalters auftaucht, als Almanac.

Literatur

Forcada Nogués, Miquel (1993): Tratado sobre los Anwa‘ ... de Ibn ‘Asim (Barcelona)
Galileo Galilei (Madrid 1987/2006): Carta a Cristina de Lorena (trad. cast. y notas de Moisés Gonzáles García, Alianza Editorial Madrid 1987/2006)
González García, M. (2006): Vorwort zu G. Galilei, Carta a Cristina de Lorena (1987, 1994, 2006 Madrid)
Topper, Uwe (1995): Eine Polsprungmythe in berberisch-sufischer Überlieferung, in: VFG 1/95, S. 59-73 (Gräfelfing b. München) (1998)
Acerca de algunas tradiciones orales de los Imaziges del Alto Atlas marroqui, Homenaje a D. Braulio Justel Calabozo; in: Al-Andalus Magreb, vol. VI, pp.197-207 (Universität Cádiz, Spanien)
Topper, Uwe, und Topper, Ilya U. Der Kalender und seine Entstehung. In: Efodon-Synesis N° 4, Juli 2004 (Hohenpeißenberg, Deutschland)
Velikovsky, Immanuel (1950): Worlds in Collision (dtsch: Welten im Zusammenstoß (Stuttgart/ 1978 Frankfurt/M, Berlin, Wien; Teil 1, Kap. 5) (1987):
Das kollektive Vergessen (Ullstein, Frankfurt/M, Berlin)

Zum Kalender von Córdoba siehe Dozy (Leiden 1873) sowie eine neuere Ausgabe von Ch. Pellat sowie Kritik in J. Samsó (Madrid 1992)

Unter Mitarbeit von Ilya U. Topper

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