Wenger: Sonne, Mond und Externsteine
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Berlin · 2013  Uwe Topper topper

Wenger, Matthias (2012): Sonne, Mond und Externsteine. Wege und Irrwege der alternativen Archäologie am Beispiel Walther Machaletts (Archiv des Forschungskreises Externsteine e.V., Horn-Bad Meinberg) 48 S., zahlreiche Abbildungen

Buchbesprechung von Uwe Topper

Dieses Heft ist eine Verteidigungsschrift seitens des Verfassers, eine Art Abrechnung. Dabei geht es auch um weltanschauliche und ideologiegeschichtliche Hintergründe bei der Frage nach der wissenschaftlichen Relevanz von Walther Machaletts Forschungen. Matthias Wenger unterzieht seine jahrelange Beschäftigung mit den Arbeiten des Laienforschers Machalett einer sehr sorgfältigen Prüfung und kommt zu dem ausgewogenen Ergebnis, daß außer der emotionalen Anregung, die von den zahlreichen Schriften dieses umstrittenen Mannes ausging, nichts davon für die Wissenschaft zu retten ist. Damit wäre dessen Wirkung sinngemäß jener gleich, die Erich von Däniken oder Immanuel Velikovsky und selbst Hanns Hörbiger auf ihre Zeitgenossen ausübten: Sie waren anregende Spinner, die eine unfaßbar große Bewegung im Publikum auslösten, wissenschaftlich aber kaum ernstgenommen wurden und dies auch nicht verdient hätten. Machaletts Wirkung war ungleich kleiner als die der drei genannten Idole, dennoch lohnt es sich, dem Vergleich nachzugehen. Denn Wengers Kennzeichnung der Welteislehre (WEL) Hörbigers ist ungemein treffend:
„Das Bild der Welteislehre von der Vergangenheit ist eine Art prähistorische Science-Fiction der Zwanziger Jahre, ein erd- und stammesgeschichtlicher ‚Thriller‘ kosmischen Ausmaßes.“ (S. 18 f) Im Vergleich damit kommt die Velikovskysche Lehre nicht besser weg, auch wenn beide in mancher Hinsicht extrem verschiedene Postionen vertreten, sogar „von völlig unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen.“ (S. 23). Beiden gemeinsam ist eben, daß sie Katastrophen als Urgrund aller Entwicklungsformen auf der Erde ansehen.
Überraschend ist darum, wenn Wenger sagt: „Beide Systeme ignorieren einander zielsicher. Velikovsky tat so, als wenn es nie eine Welteislehre gegeben habe.“ Ja, so seltsam es klingen mag: Velikovsky erwähnt die WEL ein einziges Mal in einer Fußnote! Umgekehrt ist es weniger erstaunlich, denn Hörbiger war schon zwanzig Jahre tot, als Velikovsky seine ersten Bücher veröffentlichte. Wenger meint also wohl, daß die Schüler Hörbigers nach 1950 Velikovsky ignorierten, was mir plausibel erscheint, denn Velikovsky wurde ja schon in den USA radikal abgelehnt und erfuhr damals auch in Deutschland durch namhafte Forscher wie Robert Henseling eine glatte Abfuhr.
Ergänzen möchte ich in diesem Zusammenhang, daß nicht erst mit Robert Henselings Buch von 1939, das in den Folgejahren mindestens vier Auflagen erlebte, eine damals höchst wichtige Widerlegung der Welteislehre kam (wie Wenger Anm. 64 mitteilt), sondern daß diese schon bald nach Erscheinen der WEL in den zwanziger Jahren durch Henseling und seine Kollegen in einem Sammelwerk besprochen und widerlegt wurde, worauf ich vor Jahren hinwies: „Weltentwicklung und Welteislehre“ (mit Beiträgen von Hoffmeister, Hummel, Kienle, Kühl und Nölke; Potsdam 1925).
Soviel ist jedenfalls für Wengers Argumentation festzuhalten: Machalett hat die Auseinandersetzung nicht verarbeitet und behandelte die WEL völlig kritiklos.
Noch größer ist der Fehler Machaletts in dieser Hinsicht bei der naiven Auswertung der Uralinda-Chronik (in der Nachfolge von Herman Wirth) und der „Gälischen Annalen“ von O’Connor, wobei Wenger zur Entstehung der letzteren (Anm. 33) dankenswerte Hinweise bringt. Beides sind recht junge Romane, die zur Kenntnis der Frühgeschichte keine Fakten beitragen. Textkritik war gewiß nicht Machaletts Stärke, eine gewisse Unbedarftheit im Umgang mit Quellen ist ihm anzulasten. Das vermindert den wissenschaftlichen Wert seiner Thesen. „Seine weitere Strategie bestand dann darin, verschiedenen literarischen Quellen mythischer Traditionen wie den Texten der Thorah, dem Gilgamesch-Epos und der Edda einen realhistorischen Charakter zuzusprechen“ (S. 32), statt sich nur von deren ideellem Gehalt anregen zu lassen. Damit reduziert sich dieser Versuch auf die künstlerisch-intuitive Schau.
Die Wissenschaft bleibt dabei auf der Strecke. Wie ungenau Machalett mit Visuren, Erdvermessungen und Landkarten umging, wird von Wenger ebenfalls besprochen, denn hier liegt eine weitere Schwachstelle von Machaletts Werk, die genau betrachtet seine ganze Arbeit ins Reich der Spinnerei verschiebt. Dies trifft leider für viele Nachfolger wie Gegner im gleichen Maße zu. Geodäsie und Astronomie sind exakte Wissenschaften, wo ein „gut gemeint“ ins Lächerliche gerät.
Wie alle Schriften von Wenger ist auch dieser Text außerordentlich gut unterlegt und formuliert, eine Freude beim Lesen und Anregung zum Weiterdenken. Dennoch möchte ich einen Punkt kritisieren, nämlich Wengers Verhältnis zum Katastrophismus, das mir im Gegensatz zu allen anderen Aussagen weniger gut fundiert scheint.
Wenger bezeichnet (S. 11) Machaletts Vision der Vorgeschichte als „ein Schreckensszenario, das an der Wurzel unserer Geschichte zum Vorschein kommt, gesellschaftlich und kulturell verbunden mit einer Klasse heimtückischer Eingeweihter, die ihre Macht sorgfältig zusammenhalten.“ Diese Vorstellung lehnt Wenger mit gutem Grund ab, denn dieses Szenario paßt nicht in die Vorgeschichte sondern zu den Greueltaten der Katholischen Kirche, wie uns Wenger in seinem wichtigen Werk „Geißel des Kreuzes“ eindringlich vorgeführt hat. Der Unterschied besteht meines Erachtens jedoch nur im Zeitmaß, das Machalett unkritisch übernahm, indem er die katholische Priesterschaft als direkte Fortsetzung der vorgeschichtlichen (druidischen) Priesterkaste sah (ähnlich wie Wilhelm Kammeier, den Machalett nicht zur Kenntnis nahm). Genauer müßte man sagen, daß wir mangels Wissen von den vorgeschichtlichen Zuständen im Keltenreich nur ahnen können, daß eine derartige Rückprojektion von Kirche auf Druiden im Bereich des Möglichen liegt, wie Wenger klarstellt: „Auch die Hypothese einer spezialisierten Priesterschaft, die eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung hatte, entspricht angemessenen, wissenschaftlich tragfähigen Interpretationen der alteuropäischen Kultur.“ (S. 36) Und etwas weiter: „Anders steht es natürlich mit der gesellschaftlichen Position dieses Priestertums, dem wir vernünftigerweise eine helfende und unterstützende Rolle zuschreiben wollen – und nicht wie Machalett die Funktion eines geheimbündlerischen Überbaus.“ Wo liegt der Unterschied, wenn wir keine Fakten haben, auf die wir zurückgreifen können? Im Gefühl, das von der Frage entschieden wird: Wer sitzt oben, wer beugt sich unten.
Denn daß Sonnenbeobachtung zwecks Einhaltung des Bauernkalenders auf der einen Seite und Kontrolle der Gestirnsbewegungen aus Katastrophenangst auf der anderen Seite in einem „fundamentalen Widerspruch“ stehen, wie Wenger (S. 37) annimmt, ist keineswegs richtig. Gerade das Wissen um die gelegentlich vorkommenden Katastrophen und die dadurch geänderten Kalenderdaten bedingt sich gegenseitig und beförderte die älteste Wissenschaft der Menschheit zu Höchstleistungen : die Astronomie.
Woran sollte der frühgeschichtliche Mensch Katastrophen erkennen, die praktisch weltweite Zerstörungen zur Folge hatten? Außer astronomischen Beobachtungen, die ihm die Veränderung der Position der Erde im Weltraum anzeigen, waren es auch die Wackelsteine, die empfindlich auf seismische Störungen reagieren. Ein bekanntes Beispiel liegt auf einem der hohen Externsteine. Sie gehören ebenfalls zum Wissensbestand der Machalettschen Forschung. Bedrohtheitswahn und Untergangsphantasien, wie Wenger sagt, sind die Folgen terrestrischer oder erdinterner Geschehnisse, die im wesentlichen historisch verbrieft sind. (S. 24). Dazu hielt Matthias Wenger einen Vortrag am 4. 10. 2010 im Berliner Salon für Forschung und Geschichte, der auch auf seiner website „derhain.de“ nachgelesen werden kann.

Uwe Topper, Berlin Februar 2013

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