Höhlenbilder neu datiert
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Berlin · 2018  Uwe Topper topper

 

go Weiter gedacht von der Pressemeitteilung auf "Aktuell"

Pasiega BreuilPasiega fotoPasiega Höhlenbild

Nun, es geht sogar weiter im Text mit dieser Thematik. Am 4. Mai veröffentlichte der "Berliner Tagesspiegel" auf der Seite Wissen und Forschen ein weiteres Interview direkt mit João Zilhão unter der Überschrift "Neandertaler könnten Astronauten sein." Der doppeldeutige Aufreißer nimmt das Datierungsproblem nun noch ernster: Wenn der Neandertaler nicht ausstarb, sondern seit hundertausend Jahren Kunst und Kultur schafft, dann kann er auch zu den Sternen reisen.
Auf Einladung des "Tagesspiegel" hielt João Zilhão am 7. Mai 2018 einen Vortrag in Englisch an der Universität der Künste in Berlin. Dazu gab es ein Gespräch mit Prof. Stefan Klein, des weiteren einer berühmten Malerin, sowie auch dem Publikum, zu dem der Rezensent gehörte. Demnach sind die Kunstäußerungen des frühen Menschen nicht nur mindestens 65.000 Jahre alt, sondern an anderen Orten sogar mit mindestens 115.000 Jahren anzusetzen. Die in der (vorhin erwähnten) Aviones-Höhle gefundenen Muschelschalen haben kleine runde Löcher am (verletzlichen) Spitzen Ende, was zwar die Brandung (durch Reibung mit Steinen) bei (toten) Muschelschalen verursacht, aber seinerzeit den Anlaß gegeben habe, diese (recht häufigen) Stücke aufzulesen und in die nicht so ferne Höhle zu tragen, um sie (vermutlich) als Schmuck zu benützen (wie das ja unsere Kinder auch taten). In einigen wurden sogar winzige Mengen von Rotocker in einer ganz spezifischen Form gefunden, die nur den Schluß zuläßt, daß sich Neandertalerfrauen hiermit ein Make-up anlegten, was als untrüglicher Beweis für Kulturschaffen gelten muß. Herr Dr. Zilhão zeigte ein Foto des roten Farbstoffes (geschätzt 3 mm breit), was natürlich meine Zwischenfrage auslöste: "Wieviele dieser Muscheln mit dem Make-up wurden gefunden?" worauf der Vortragende antwortete: "Drei."
Das kommt mir wenig vor für eine so schwerwiegende Aussage.
Und ob Rotocker sich nicht auch von selbst in der kleinen Muschel-Höhlung abgelagert haben könnte? Nein, es handelt sich um ein sehr kompliziertes Rezept zur Herstellung des Make-ups. Ein dort ebenfalls erwähnter Artikel von João Zilhão hat folgende Erklärung zur Aviones-Höhle:
"It has yielded ochred and perforated marine shells, red and yellow colorants, and shell containers that feature residues of complex pigmentatious mixtures." (Man fand dort mit Ocker gefärbte und durchlochte Seemuscheln, rote und gelbe Farbstoffe, und Muschelbehälter, die Reste von komplizierten Farbstoffmischungen enthalten.)

Kehren wir zur Kunst zurück. Folgendes wäre zu bedenken:
Die modernen Einschätzungen des Alters der berühmten spanischen und französischen Höhlengemälde – noch vor der Anwendung der Radiokarbonmethode – beliefen sich auf 18.000 Jahre, teils aus paläozoologischen Überlegungen der Art: Wann starb das Mammut aus? Wann endete die Eiszeit? d.h. aus fachfremden Datierungen übernommen. Für andere Bilder, etwa die der spanischen Levante, wurde auch deutlich weniger veranschlagt: 6000 Jahre. Das mag in meiner Schulzeit einigen älteren Kunsthistorikern noch "übertrieben alt" vorgekommen sein (mir ebenfalls, weil ja die Verwitterung bei den offenen Felsüberhängen der Levante doch recht stark ist), aber die Archäologen hatten diesen Teil der Kunstgeschichte übernommen. Nunmehr bestimmten sie und die Anthropologen den (zeitlichen) Ablauf der Kulturentwicklung.
1994 wurde go die Grotte Chauvet entdeckt, und diese "von einem einzigen Mann geschaffenen" Malereien wurden nach der C14-Methode doppelt so alt datiert: 38.000 Jahre. Nur wenige Fachleute sahen diese Bilder, und diese ließen keinen Widerspruch gelten. Dabei hätte eigentlich schon der große leere Zeitabstand stutzig machen müssen: Wieviele Generationen von Schamanen oder Höhlenkünstlern lagen zwischen den beiden Grenzwerten von 38.000 bis 18.000 ? Grob veranschlagt: 700. Es müßten also einige hundert Höhlen bemalt worden sein, wenn pro Generation nur eine Höhle bemalt wurde. Und soviel müßten es mindestens sein, damit das Wissen um die komplizierten Techniken der Farbbereitung, des sicheren Strichs und der kultischen Absicht der Malereien nicht ausstarb sondern weitergegeben werden konnte. Vermutlich wurden einige Malereien – hier sind die Anthropologen gefordert – nicht nur einmal im Leben eines Schamanen sondern alljährlich bei der Wintersonnwende angefertigt.
Wenn aber nun diese Kunstzeugnisse der Steinzeit gar 64.800 Jahre alt sind, weil die Uran-Thorium-Methode das erfordert? Dann müßten einige tausend Höhlentempel bereitstehen. Von denen wird natürlich immer nur ein Bruchteil entdeckt werden können. Jedoch: die meisten Höhlen sind erforscht, viel bleibt nicht übrig für unentdeckte Gemälde.

Es gibt Bilder in Frankreich, weit verstreut (300 km voneinander entfernt), die vom selben Künstler stammen (laut Stiluntersuchung). Das schränkt die Zahl der Gruppen oder Generationen stark ein. Manche Höhlen wurden bis zu zwanzigmal besucht und Bilder ergänzt, drübergemalt usw., aber die meisten stammen von denselben Kulturgruppen, alles ist recht einheitlich.
Insgesamt kommen doch nur einige hundert Künstler infrage. Das reicht nicht mal für die traditionellen Altersangaben, auf weitere Jahrzehntausende ausdehnen läßt sich das nicht.
Nach neuesten Radiokarbondatierungen gab es zwei Perioden der menschlichen Nutzung der Grotte Chauvet, eine von 37.000 bis 33.500 Jahren vor heute (Aurignacien), die zweite von 31.000 bis 28.000 Jahren vor heute (Gravettien).
Der Abstand von 6000 Jahren zwischen den zwei Besuchern der Höhle von Chauvet ist seit Anfang ihrer Entdeckung bekannt. Es wären demnach zwei Künstler, obgleich unklar bleibt, was vom zweiten stammen soll. Die Fußspuren im weichen Lehmboden lassen aber den Schluß zu, daß hier in Jahrtausenden kaum Betrieb war. Die Frage bleibt also: wo übten die Leute aus der Gegend sechstausend Jahre lang ihre Kunst?
Was auch fehlt, sind die Rußspuren der Fackeln. Darum nimmt man für die nötige Beleuchtung kleine Talglichte an (mit Bärenfett), nur gefunden wurden seltenst welche. Auch die angeriebene Farbe ist kaum je zu finden. Oder die Gestelle für die in manchen Höhlen höher oben an der Wand liegenden Bilder. Da ist noch einiges unklar.
Wichtig an dem ganzen Vortrag und den dazugehörigen Veröffentlichungen (auch in Fachblättern) ist eigentlich nur der eine Punkt: Wenn die Bilder bisher höchstens 40.000 Jahre alt sein konnten und darum vom Cro-Magnon stammen mußten, sind sie jetzt bedeutend älter als diese Barriere, und stammen daher vom Neandertaler. Womit ein völlig neues Licht auf unsere Menschwerdung geworfen wird.
Wie war die Barriere zustandegekommen? João Zilhão erklärte auch das: Es ist die Obergrenze verläßlicher Altersbestimmung mit der C14-Methode. Erst mit dem jetzt von Dirk Hoffmann entwickelten Verfahren der früher sehr groben Uranium-Thorium-Methode (die seit 1937 angewandt wird) sind so hohe (Mindest-)Datierungen wie 65.000 oder gar 115.000 Jahre möglich.
Ausschließen muß man natürlich sorgfältig jede Art von Verunreinigung (contamination) der Probe, erst recht, wenn es sich um einzelne Gegenstände handelt, deren anhaftendes Material zur Altersbestimmung mitverwendet wird. Weniger kritisch ist dies bei Sinterproben (flowstone, der die Malereien überlagert), die von Experten direkt der Wand entnommen wurden.
Dennoch fraglich: Ob eine ungebrochene Verfallsrate für strahlendes Material über so lange Zeiträume vorausgesetzt werden kann? Was bedeutet ein Strahlungsstoß während einer kosmischen Katastrophe für die Datierung? Schwankungen der Zerfallsrate hatten schon die C14-Datierungsmethode fraglich gemacht, weshalb sie mithilfe von Baumringsequenzen kalibriert werden mußte. Womit wird man die Uran-Thorium-Auszählung kalibrieren?

Die obige Abbildung (Mitte, Detail) stammt aus der New York Times vom 27. 2. 2018, dort auch die wichtigsten Informationen zum Thema:
https://www.nytimes.com/2018/02/22/science/neanderthals-cave-paintings-europe.html
Die Seite von Dirk Hoffmann bringt eine Kurzfassung von seinem Artikel für Science von 2011 sowie weitere links zum Thema: http://www.dirkhoffmann.info/caveart.html

Uwe Topper, 16. 5. 2018

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