Südspanische Felsbilder als Ausdruck der Kalendergestaltung und Himmelskunde

Einige Leser haben bezüglich meines etwas knapp geratenen Hinweises auf die kosmischen Beziehungen der südspanischen Felsbilder in meinem Aufsatz in KULT-UR-Notizen Nr. 19 (1997) Fragen an mich gestellt und mich zu einer weiteren Ausführung angeregt. Dieses Thema ist neuerdings diskussionswürdig geworden, darum bringe ich hier eine ausführliche Betrachtung des kosmischen Aspektes der vorgeschichtlichen andalusischen Malereien.

Die Himmelsbeobachtungen der frühen Andalusier, ausgedrückt in ihren Felsbildern, sind erstaunlich genau, was einigen Forschern aufgefallen ist. Es handelt sich um Beobachtung der Tageslänge, also um Sonnenuhren, um Wiedergabe des Sternhimmels und symbolische Darstellung der Jahreszeiten, und um Abzählung der Mondtage, also um einen Zusatz zur Kalenderbestimmung.

Das Himmelsbild in der „Cueva Magro“, nahe beim Canuto de los Names, Ortsbereich Los Barrios, Provinz Cádiz (im Katalog LOC 7, S. 134 ff.) (Abb. 1)

Cueva Magro

Das erstaunlichste aller andalusischen Himmelsbilder befindet sich in der Höhle Magro (mit Blick auf Gibraltar). Die Höhle (Abri oder Abrigo, Halbhöhle, Überhang), die Breuil mit dem Namen Magro belegte, liegt in der Sierra del Niño. Von dem gegenüberliegenden Felsen hat man einen herrlichen Blick auf den markanten Felsblock von Gibraltar und in Richtung anderer bemalter Höhlen des Gebirges. Die Höhlung ist wie eine Halbkugel geöffnet, 5 m im Durchmesser, und bietet viel Wandfläche für Felsmalereien. Leider hat sich die Sichtbarkeit der Malereien in den letzten 14 Jahren merklich verschlechtert, - wie auch in anderen offenen Höhlen der Umgebung - was vielleicht mit den vermehrten Staudämmen und der davon abhängigen Änderung des Mikroklimas zusammenhängt. Von den von Breuil beschriebenen menschenförmigen Abbildungen sind nur noch einige grobe Flecken geblieben, die kaum eine Interpretation zulassen.

Felsbild CA7

Abb. 1: Punktebilder in Cueva Magro

Die noch heute sichtbaren Reste von roter Malerei sind Punkte, die vermutlich in schneller Folge mit der Fingerkuppe aufgetragen wurden. Stellenweise kann man erkennen, wo der Maler den Finger neu eintauchte in den Farbbrei, und wie in der Folge des Tupfens die Farbintensität wieder abnimmt.
Es handelt sich um drei Gruppen von Punkten, eine an der Decke, die andere an einem Zwischenstück und die dritte an der Wand darunter. Unsere Deutung als kosmisches Abbild erschien zunächst gewagt, konnte aber durch keine bessere Deutung ersetzt werden, sondern wurde mehrfach bestätigt.
Im Oberteil sehen wir zwei klar voneinander getrennte Punktegruppen, die von weitem wie zwei Tiere aussehen: links ein Steinbock, rechts ein Bär oder Löwe. Wenn man in astronomischen Begriffen denkt, kommt man sofort auf die Lösung: Der Löwe, der dem Steinbock folgt, ist der Sommer, der den Winter verfolgt (und ihn vertreiben will). Im Winter beginnt das Jahr, die Sonne steht im Sternbild Steinbock, im Sommer durchläuft sie das Sternbild Löwe. Die beiden Tierzeichen sind fast einheitlich im gesamten alten Orient auf Vasenbildern und an Wänden verewigt mit eben diesem Sinn. Der Steinbock als Jahresanfangssinnbild ist nicht nur dort verwendet worden, sondern auch in der südspanischen Felsmalerei mehrfach vorhanden, ein weiteres Beispiel werde ich noch vorstellen.
Unterhalb der beiden Gruppen befindet sich ein weiteres Punktbild, das schwieriger zu erkennen ist. Schon Breuil gab fünf Jahrzehnte eher dieses Bild in derselben Art wieder wie (unabhängig davon) wir zu Anfang der siebziger Jahre. Man könnte an einen schwangeren (Wal)fisch denken, aber eine Erklärung fehlt.
Darunter befindet sich in acht Punktegruppen das Bild, das aufregende neue Einblicke in die Mentalität der damaligen Menschen bietet: ein Abbild des Sternhimmels während des gesamten Jahreslaufs.
Auch hier ist unsere Kopie, wie wir später feststellten, praktisch identisch mit der von Breuil. Leider hat Breuil keinen Sinn darin finden können.
Zunächst einmal fällt sogleich auf, daß diese Punkte nicht wahllos hingekleckst wurden, sondern einem unsichtbaren Faden folgen, vermutlich entsprechend einem auswendig gelernten Schema. Die Deutung als Sternhimmel liegt nicht fern, da die Punkte ohnehin gern als Sterne gedeutet werden und der vorgeschichtliche Mensch mit der Beobachtung und Kenntnis des Sternhimmels sicher enger verbunden war als die Bauern heute dort.
Indem ich eine durchsichtige moderne Sternhimmelkarte im etwa gleichen Maßstab über meine Wiedergabe dieses Punktewirrwarrs legte, erkannte ich, daß es sich bei der Felsmalerei um ein geordnetes Bild des Sternhimmels handeln muß, und zwar so, daß die linke Seite den Sternhimmel während der Mittwinternacht, die rechte den während der Mittsommernacht darstellt, jeweils um Mitternacht und nach Norden ausgerichtet. (Abb.2)

Felsbild CA7 Sterne

Abb. 2: Schematische Darstellung des Sternhimmels im Jahreslauf (Zeichn. U. Topper)


Allerdings befinden sich die Punkte nicht exakt an den Stellen, wo sie heute sein müßten. Der zeitliche Abstand wird kaum für die Verschiebungen verantwortlich sein, sondern es wird vor allem die schematische Wiedergabe Verzerrungen enthalten, da es sich wohl um ein auswendig gelerntes Muster handelt. Ich will sagen: Der Maler hat nicht zum Himmel geschaut, als er die Sterne auf der Wand abbildete, sondern einfach ein Lehrbild schnell hingetupft, ein vermutlich in ritueller Weise geheiligtes Sinnbild, das eher eine Bitte oder Anbetung ausdrückte als einen Atlas.
Außerdem dürfte die Krümmung des Felsens und die Ungleichheit der Oberfläche dazu beigetragen haben, daß die Sterne nicht korrekt stehen, weshalb wir heute aus dem antiken Himmelsbild keine weitreichenden Schlüsse ziehen können (etwa betreffs der Präzession, was versucht wurde).
Jedenfalls sind die meisten bekannten Konstellationen erkennbar: der Große Hund (Canis Mayor), Orion, Eridanus und Löwe, um nur die wichtigsten zu nennen (für die Einzelheiten betrachte man die Abbildung, in der die Sternbilder eingezeichnet sind.). Nicht nur die Gruppierung und Anzahl der jeweils hellsten Sterne jedes Bildes sondern auch die Lage im Verhältnis zu den anderen Sternbildern ist so genau, daß die hier vorgeschlagene Deutung Sinn macht. Nur die Zwillinge (Gemini) sind an den äußersten oberen Rand verschoben, vielleicht aus mythologischen Gründen. Es könnte sogar mit diesem drastischen Hinweis auf die Zwillingsgötterreligion verwiesen sein, die in frühchristlicher und frühislamischer Periode an der Küste des Atlantik allgemein verbreitet war. Ich erinnere nur an Santiago de Compostela in Galicien, wo zeitweise ein „Zwillingsbruder des Herrn“ verehrt wurde, und an Mulay Bu-Selham in Marokko, wo die Dioskuren Verehrung genossen.
Die Darstellung von Steinbock (Capricorn) und Löwe (Leo) über den beiden Sternhimmelhälften an der Decke ist ebenfalls astronomisch richtig: links steht das Bild des Winterhimmels, rechts das Zodiakzeichen des Sommers. Nur der „Fisch“ im Zwischenraum bleibt vorläufig unerklärlich. Dieses Zwischenraumbild muß nicht zur Gesamtkomposition gehören, es könnte aber einen Bezug haben. Vielleicht hat ein Leser einen Vorschlag?

Cueva de Chinchilla (Gemarkung Jimena de la Frontera, Prov. Cádiz, im Katalog LOC 35 B) (Abb. 3)

Dieses zunächst verwirrende Bild mit vielen rötlichen Punkten entpuppt sich nach einigem Betrachten ebenfalls als kosmische Darstellung. Während die obere Reihe nicht genauer bestimmbare Konstellationen wiedergibt, finden wir darunter die Zodiakalzeichen, die die Jahresstationen anzeigen: in der Mitte auffällig groß der sommerliche Löwe, der nach rechts gewendet das Winterzeichen Steinbock jagt. Rechts vor dem Steinbock ist deutlich ein Fisch zu sehen, links vom Löwen ein unklares großräumiges Zeichen, vielleicht Stier (?). Darüber ein dickerer Punkt und darüber möglicherweise die nördliche Krone.
Die Deutung mag auf den ersten Blick etwas willkürlich erscheinen, ist aber im Vergleich mit anderen ähnlichen Bildern (hier vor allem dem Deckenteil von LOC 7) eher nachvollziehbar.

Felsbild CA35B

Abb. 3: Cueva de Chinchilla

Cueva del Extremo Sur (Gemarkung La Línea de la Concepción, Prov. Cádiz, im Katalog LOC 31) (Abb. 4)

Der Abrigo befindet sich auf der höchsten Stelle des Südhangs der Sierra Carbonera und hat als Kennzeichen ein Fensterloch in seiner westlichen Wand. Solche Löcher, die vermutlich natürlichen Ursprungs sind (durch Verwitterung) eignen sich gut zur Beobachtung von Gestirnbewegungen. Es gibt viele bemalte Höhlen, die derartige Durchbrüche aufweisen.
In der Mitte der Wand dieser Höhle, die nach Süden offen mit Blick auf den nahen Felsen von Gibraltar gerichtet ist, befindet sich eine hellrote Malerei (Abb.), die ihrer Form wegen als Baum bezeichnet werden kann. Die oberen Punktegruppen haben jeweils 14 Punkte, die Striche der am besten sichtbaren Mittelgruppe addieren sich zu 28. Die 7 und ihr Vielfaches gehört zu den wichtigsten heiligen Zahlen, besonders wo es um die Erfassung der Zeitbegriffe geht. Unten rechts ist außerdem das Flugbild eines Raubvogels zu sehen, die übrigen Zeichen sind recht schwach und kaum noch deutbar. Die Wand ist wie eine Halbsäule gewölbt, so daß das Bild sofort auffällt. In den Wintermonaten fällt die tiefstehende Mittagssonne auf diese Wand, vielleicht erreicht sie nur gegen Wintersonnenwende die bemalte Stelle; wir konnten das leider nie nachprüfen. Felsbild Ca-31Abbildung 4: Cueva del Extremo Sur


Herbert Kühn (S. 163 ff) hat derartige baumähnliche Zeichen als Sinnbild der Generationenfolge gedeutet. Ich bin diesem Gedanken weiter gefolgt und möchte den Zusammenhang mit unserem Weihnachtsbaum andeuten. Auch bei anderen Höhlenbildern möchte ich das Baumzeichen mit den Begriffen von Wiedergeburt und Fruchtbarkeit (der Herden) verbinden, die sowohl zu den Feiern bei Jahresbeginn (an Wintersonnenwende) als auch generell zum Totenkult gehören.

Neue Funde in der Gemarkung Tarifa (Abb. 5a und b)

Der deutsche Felsbilderforscher Lothar Bergmann entdeckte ab 1992 eine größere Zahl von bemalten Höhlen in der Gemarkung Tarifa (Càdiz), unter denen ich eine herausgreifen will, weil sie von ihm als Sonnenuhr interpretiert wird: Abrigo del Cancho (publiziert 1995). Wie die Abbildung zeigt, handelt es sich bei der roten Malerei um eine gekrümmte Linie mit zwei nach unten verlängerten Enden und neun Strichen nach oben, von denen der mittlere stark herausragt. Um die Mittagszeit wandert der Schatten der darüberliegenden Felsnase über die Malerei, an der dann die Tagesstunde ablesbar ist. Der hohe Strich zeigt Mittag an. Bergmann zeigte mir 1994 die Höhle und wies darauf hin, daß nur während der Wintersonnenwende das Felsbild genau mit dem Schatten übereinstimmt. Mit einer Reihe von Diapositiven, um Weihnachten 1993 aufgenommen, konnte er den Vorgang belegen.
Es handelt sich also nur auf den ersten Blick um eine einfache Sonnenuhr; eher kann man hier von einem Kalender sprechen, denn es wird der Tag der Wintersonnenwende abgelesen.
.Felsbild Bergmann
Eine weitere Neuentdeckung von Lothar Bergmann, die Cueva del Moro (Tarifa), in der sich „paläolithische“ Gravuren von Pferden befinden, enthält ein überaus komplexes, etwa 1 m großes Bild aus zahlreichen Punkten, deren genaue Wiedergabe wegen des schlechten Erhaltungszustandes noch nicht möglich ist (1995, S. 59 und 61).

Die Mondkalenderzählungen in der Umgebung der Cueva del Bacinete (Ortsbereich Los Barrios, Provinz Cádiz, im Katalog LOC 2) (Abb. 6)

Immer wieder begegnen uns in den Felsbildern Punktereihen, aber nicht alle sind reine Sternbilderwiedergaben. Da gibt es häufig Punktebilder, die zwar einen Zusammenhang mit Sternmythen erkennen lassen, aber eben doch nicht so aufgebaut sind, daß ein Punkt einem Stern entspricht. Oft handelt es sich um Zählmuster. Man hatte gemerkt, daß der Mond nicht eindeutig nach 29 Tagen seine genaue Phasenwiederkehr hat, sondern abwechselnd auch 30 Tage braucht. Das kann man sehr leicht herausfinden, wenn man an jedem Mond-Tag einen Punkt als Gedächtnisstütze an die Wand malt. Später sieht man, daß ein Monat einmal 29, ein andermal 30 Tage beträgt. Derartige Zeichnungen gibt es recht häufig. In unserem Bereich sind sie auch vorhanden. Als Beispiele führe ich LOC 2 D (recht deutlich) und LOC 2 B (stark verwittert) an. Man sieht zwei Reihen von je 14 Punkten, die vermutlich einen Mondumlauf anzeigen. Auch das Bild LOC 2 E stellt wohl nicht einfach einen Hirsch dar, sondern will an den jeweils sieben Geweihenden einen halben Mondumlauf versinnbildlichen. Wie diese Zeichnung wirklich zu verstehen ist, bleibt aber offen.

Felsbild CA 2 DAbb. 6: Cueva del Bacinete

 

Die Sonnen der Cueva del Obispo (Tarifa, Prov. Cádiz, im Katalog LOC 16 A) (Abb. 7)

Die beiden roten Malereien sind vermutlich mit dem Finger aufgetragen, wie auch sonst üblich bei diesen schematischen Zeichen. Es handelt sich um die Darstellung von zwei Sonnen oder Sternen mit unregelmäßiger Anordnung von Strahlen. Jede Sonne steht wohl für ein Sonnenjahr. Die linke Sonne zeigt 13 Strahlen und drei Punkte, die rechte zeigt 12 Strahlen. Wiederum wird es sich um die 12 und 13 Mondumläufe handeln, die im Laufe von zwei Jahren möglich sind. Die drei Punkte in den Strahlenlücken der linken Sonne haben vermutlich eine ähnliche Bedeutung wie die über dem Rücken des Hirsches von LOC 2E, ohne daß mir die Bedeutung klar wäre. Vielleicht beziehen sie sich auf die Finsternisse, deren Stellung in einem Abzählrhythmus auf dem Bild ablesbar wäre.
In der Höhlung nebenan sieht man eine Sonne mit 12 Strahlen neben anderen kaum deutbaren Zeichen (LOC 16 B)
Eine sehr ähnliche Sonne mit 12 Strahlen - offensichtlich die Monate des Jahres darstellend - entdeckte Lothar Bergmann in der Cueva del Sol (Tarifa, 1995, S. 58-59).

Felsbild CA16

Abb. 7: Cueva del Obispo

Eine gewagte Deutung (Abb. 8-9)

In einer rein naturwissenschaftlichen spanischen Astronomie-Zeitschrift (Tribuna de Astronomía) erschien im Sommer 1990 ein Artikel über Archäoastronomie, der die Felsbilder unseres Kataloges in einsichtiger Weise als Kalenderzeichen deutete. Wenn die Deutungen stimmen, müssen wir zugeben, daß die Kenntnisse des Kosmos seitens der frühgeschichtlichen Menschen sehr beachtlich waren. Der Autor, Amador Rebullida Conesa, Ingenieur und Verfasser eines spanischen Buches über „Astronomie und Religion im Neolithikum und Bronzezeitalter“ (1988) legt dar, daß die Hirschbilder und einige Punktegruppen einfache Methoden zur Feststellung des metonischen Zyklus gewesen seien. Der metonische Zyklus gewährleistet, daß nach jeweils 19 Jahren der Vollmond wiederum auf die Wintersonnenwende fällt, was als Jahresbeginn gewählt wurde und von religiöser Wichtigkeit war. Die für Nichteingeweihte recht wahllos angeordneten Zacken der Hirschgeweihe verraten - Rebullida zufolge - die metonische Zählweise, die mit wenigen Angaben auskam und „augenscheinlich“ war, also nicht erst auf dem Umweg über mathematische Überlegungen verwendbar.
In gleicher Weise wies er auch durch Abzählen der Geweihenden nach, daß die periodische Wiederkehr der Mondfinsternisse den Malern der Felsbilder von Cádiz bekannt gewesen sein muß. Daraus entstand jedoch noch keine perfekte Vorhersage der tatsächlichen Mondfinsternisse, da der jeweilige Ort, an dem die Mondfinsternis sichtbar sein müßte, irgendwo auf dem Globus liegen kann. Nur die theoretische Möglichkeit einer Mondfinsternis konnte an den gemalten Zeichen abgelesen werden. Die Fähigkeit, den Sinn der Zeichen zu verstehen und Voraussagen zu machen, - führt der Autor weiter aus - wurde im Laufe der Zeit immer weniger Leuten bekannt und ging allmählich ganz verloren.

Cueva del Tajo Gordo (Jimena d.l.Fr., Prov. Cádiz, im Katalog LOC 36) (Abb. 10)

Ein leider sehr stark verwittertes Bild, für dessen genaue Wiedergabe ich nicht bürgen kann, da ja jeder kleine Punkt nun eine überragende Bedeutung bekommt, befindet sich in dem sehr offenen Felsüberhang am Risco del Tajo Gordo, fast am Ufer des Flusses Hozgarganta oberhalb von Jimena. Breuils Skizze des Bildes ist noch schwächer als unsere eigene, was vermutlich mit den Schwankungen der Luftfeuchtigkeit im Jahreslauf zusammenhängt: je feuchter die Luft, desto besser treten die Bilder hervor.
Auch hier deutet alles darauf hin, daß diese ansonsten unverständlichen Punktereihen einen Abzählrhythmus bedeuten, wobei wiederum Mondphasen im Vordergrund stehen. Die oberste Doppelreihe mit 17 und 19 Punkten passen genau zu den von Rebullida an den anderen Bildern erkannten Zahlenrhythmen, die er dem metonischen Zyklus zuordnet, während die untere linke Gruppe mit 13 Punkten offensichtlich die mögliche Anzahl der Vollmonde innerhalb eines Jahreslaufs anzeigt.
Auch in der Cueva de los Alemanes (bekannt seit 1974, im Katalog LOC 15) befindet sich eine Gruppe von 19 Punkten.

Felsbild CA36

Abb. 10: Cueva del Tajo Gordo

Reste von Felsenbauten: Observatorien?

Im Zusammenhang mit den Felsbildern fanden wir in der Provinz Cádiz auch eine Reihe von Felsenbauten, von denen nur noch die nackten Basen erhalten sind, also Treppen und Pfostenlöcher, Becken und Nischen in den gewachsenen Fels gehauen. Ich nehme an, daß eine große Überflutung durch den nahen Atlantik alle aufgesetzten Bauteile vernichtet und fortgetragen hat. Über die einstige Form und Verwendung dieser Bauten kann man nur Vermutungen anstellen.
Manche dieser Felsenbasen weisen einen großen freien Platz auf, der von einer erhöhten Stufe eingerahmt ist, die wie eine Zuschauerbank wirkt. Der Gedanke an primitive Theater kam mir vor allem, weil in den Malereien hin und wieder Masken oder verkleidete Personen auftauchen. Andere Felsenbasen würden leichter als Wohnzellen von Mönchen zu deuten sein (wie der englische Archäologe Hamo Sassoon, Jimena d.l.Fr., vorschlägt). Und wieder andere trugen offensichtlich einen Turm. Diese Türme könnten der Nachrichtenübermittlung gedient haben, allerdings auch als Observatorien zur Himmelsbeobachtung, wobei die eine Nutzungsweise die andere nicht ausschließt.
Zum Beobachten der Sterne gehört nicht nur ein erhöhter Punkt mit möglichst weitem Horizont, sondern - etwa wie bei den Externsteinen - ein rundes Fensterloch, vor das man zum genaueren Anpeilen einen Stab stellte, der natürlich heute fehlt. Jedenfalls ist auffällig, daß viele bemalte Höhlen ein derartiges Guckloch haben, wobei nicht immer klar ist, ob es rein natürlichen Ursprungs ist oder vom Menschen für seine Zwecke verändert wurde.

Folgerungen

Die Deutung einiger Felsbilder als Sinnzeichen astronomischer Beobachtungen oder Merkbilder zur Weitergabe von Kalenderkenntnissen soll nicht bedeuten, daß alle Felsbilder des hier betrachteten Gebietes diesen Sinn haben müssen. Es gibt offensichtlich Höhlen, in denen andere kultische Ziele im Vordergrund stehen. In meinen bisherigen Veröffentlichungen hatte ich vor allem den Zusammenhang mit Totenfeiern und damit verbundenen Fruchtbarkeitsriten betont, wobei ich mich eng an die weithin anerkannten Deutungen von Breuil und Kühn anlehnte.
In jüngerer Zeit sind aber immer mehr Hinweise auf die großartigen astronomischen Kenntnisse der Megalithiker bekannt geworden, ich nenne hier nur die Bücher von Hofer sowie von Meier und Zschweigert. Mit meiner kurzen Studie möchte ich eine Beachtung des kosmischen Aspektes der andalusischen Felsmalereien anregen.


Literaturverzeichnis

„Katalog“: Topper, Uwe y Uta (1988): Arte rupestre en la provincia de Cádiz (Cádiz)

Bergmann, Lothar (1995): „Nuevas cuevas con pinturas rupestres en el término municipal de
Tarifa“, in: ALMORAIMA (Algeciras), Nr. 13, p. 51-64.
Breuil, Henri und Burkitt, Miles C. (1929): Rock paintings of Southern Andalusia (Oxford Univ. Press)
Hofer, Herbert G. (1966): Höhlen als frühe Observatorien. Die Entschlüsselung des Labyrinths? (Heimsheim)
Kühn, Herbert (1971): Die Felsbilder Europas (Stuttgart)
Meier, Gert und Zschweigert, Hermann (1997): Die Hochkultur der Megalithzeit. Verschwiegene Zeugnisse aus Europas großer Vergangenheit (Tübingen)
Pennick, Nigel (1990): Mazes and Labyrinths (London) - dtsch (1992): Das Geheimnis der Labyrinthe (München)
Rebullida Conesa, Amador (1990): „Astronomía en la Prehistoria“, in: Tribuna de Astronomía No. 56/57, p. 64-69
Sassoon, Hamo (1998, im Druck): „Una contribución a la historia de la Jimena medieval“, in: ALMORAIMA (Algeciras)
Topper, Uwe (1975): Felsbilder an der Südspitze Spaniens in: Madrider Mitteilungen 16
(1977): Das Erbe der Giganten (Olten)
(1997): „Felsbilderforschung in der Provinz Cádiz (Spanien)“ in: KULT-UR-Notizen Nr.19, S. 31-36; 9 Abbildungen (Bettendorf)
Wirth, Herman (1936): Die Heilige Urschrift der Menschheit (Leipzig)

10 Abbildungen (noch nicht alle eingefügt)
Alle Abbildungen stammen aus unserem genannten Katalog, außer Abb. 5 (Lothar Bergmann) und Abb. 8-9 (A. Rebullida Conesa in Verwendung unserer Katalogbilder 1988).

Erschienen (2002): Südspanische Felsbilder als Ausdruck der Kalendergestaltung und Himmelskunde der frühen Andalusier.- Almogaren XXXII-XXXIII/2001-2002, Wien, 235-250

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